Table of Contents Table of Contents
Previous Page  73 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 73 / 80 Next Page
Page Background

73

Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

diesen Objekten innewohnt zu Beginn des 20. Jahrhunderts

gerade westliche Künstler enorm faszinierte und inspirierte.

Ein Rückschluss der relativ lange insbesondere von west-

lichen Ethnologen und Anthropologen gezogen wurde, war

der, dass davon ausgegangen wurde, dass traditionelle afrika-

nische Gesellschaften bis zur Kolonisierung durch die Euro-

päer stark abgeschlossene, kulturell autonome, jeweils eigene

‚Stile‘ begründende, strikt abgegrenzte Verbünde gewesen sein

sollen. Gerade diese Vorstellungen führten in der westeuropä-

ischen Wissenschaft und Kultur zu einer Verklärung, die den

westafrikanischen Kulturen eine Ursprünglichkeit, Eigentüm-

lichkeit und Archaik zusprachen, die mit einer kulturellen

und zivilisatorischen Abgeschiedenheit begründet wurde.

Diese Interpretationen konnten zwischenzeitlich wider-

legt werden. Die Ethnien südlich der Sahara lebten zu

einem großen Teil von Transsaharahandel. Die Notwendig-

keit zu einer entweder symbiotischen oder deutlich abge-

grenzten Lebensweise aufgrund beschränkter Ressourcen

und vergleichbarer ökonomischer Grundlagen führte im

Gegenteil zu einem starken interkulturellen Austausch,

der in den Religionen, Alltagsgegenständen, soziologischen

Grundlagen, merkantilen Verbindungen und nicht zuletzt

in der vernakulären Architektur ihren Ausdruck fand.

5

Die vernakuläre (historisch gewachsene) Architektur,

die sakrale Architektur und die repräsentative Architektur

Westafrikas, insbesondere Malis, Burkina Fasos und Ghanas

verdient besondere Beachtung. So sind hier Konstruktionen

und Typologien entstanden, die einerseits sehr kluge Reak-

tionen auf lokale Gegeben- und Möglichkeiten sind und

gleichzeitig eine ausgesprochene gestalterische Kraft besitzen.

5 Sidney Littlefield Kasfir: One Tribe, one Style? Paradigms in the Historio-

graphy of African Art. In: History in Africa / HA 11, 1984; S. 163-193.

Nebeneinander existieren hier die schwarzen Zelte

der nomadisierenden Tuareg, begleitet von halbrunden

Unterkünften der sie begleitenden Iklan, die aus Schilfgras

konstruierten tonnenartigen Häuser der fischenden Bozo

entlang des Niger, neben aus Lehm gefertigten amorphen

Felsenburgen der Dogon im Steilhang der Falaise Bandia-

garas über die stolzen, ebenfalls aus Lehm gefertigten Bür-

gerhäuser Segous und Moptis bis hin zur majestätischen

Großen Moschee in Djenne, dem größten Lehmgebäude

südlich der Sahara.

Vier dieser Kulturstätten wurden in den Jahren 1988–

2004 zumWeltkulturerbe erklärt. Dazu gehören die Lehm-

moscheen, Mausoleen und Friedhöfe in Timbuktu, die

islamische Stadt von Djenne mit ihrer Großen Moschee,

das Siedlungsgebiet, die Kultur und Architektur der

Dogon sowie das Grabmal von Askia, des ersten Königs

des Songhaireiches in Gao.

All diese Welterbestätten sind Ziele von Terrorangriffen

der radikalislamistischen Gruppen, die den Norden Malis

aus dem Staatsgefüge abspalten wollen und bereits die

Unabhängigkeit dieser Region „Azawad“ erklärt haben.

Sichtbares Zeichen der Bedrohung ist, dass diese Stätten

zwischenzeitlich auf die Rote Liste des gefährdeten Welt-

erbes der UNESCO aufgenommen werden mussten.

Wohngebäude der Iklan (Bouzou, Bella) in Timbuktu

Die große Moschee in Djenne, das größte Lehmgebäude südlich der Sahara,

das seit 1988 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde