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Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
diesen Objekten innewohnt zu Beginn des 20. Jahrhunderts
gerade westliche Künstler enorm faszinierte und inspirierte.
Ein Rückschluss der relativ lange insbesondere von west-
lichen Ethnologen und Anthropologen gezogen wurde, war
der, dass davon ausgegangen wurde, dass traditionelle afrika-
nische Gesellschaften bis zur Kolonisierung durch die Euro-
päer stark abgeschlossene, kulturell autonome, jeweils eigene
‚Stile‘ begründende, strikt abgegrenzte Verbünde gewesen sein
sollen. Gerade diese Vorstellungen führten in der westeuropä-
ischen Wissenschaft und Kultur zu einer Verklärung, die den
westafrikanischen Kulturen eine Ursprünglichkeit, Eigentüm-
lichkeit und Archaik zusprachen, die mit einer kulturellen
und zivilisatorischen Abgeschiedenheit begründet wurde.
Diese Interpretationen konnten zwischenzeitlich wider-
legt werden. Die Ethnien südlich der Sahara lebten zu
einem großen Teil von Transsaharahandel. Die Notwendig-
keit zu einer entweder symbiotischen oder deutlich abge-
grenzten Lebensweise aufgrund beschränkter Ressourcen
und vergleichbarer ökonomischer Grundlagen führte im
Gegenteil zu einem starken interkulturellen Austausch,
der in den Religionen, Alltagsgegenständen, soziologischen
Grundlagen, merkantilen Verbindungen und nicht zuletzt
in der vernakulären Architektur ihren Ausdruck fand.
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Die vernakuläre (historisch gewachsene) Architektur,
die sakrale Architektur und die repräsentative Architektur
Westafrikas, insbesondere Malis, Burkina Fasos und Ghanas
verdient besondere Beachtung. So sind hier Konstruktionen
und Typologien entstanden, die einerseits sehr kluge Reak-
tionen auf lokale Gegeben- und Möglichkeiten sind und
gleichzeitig eine ausgesprochene gestalterische Kraft besitzen.
5 Sidney Littlefield Kasfir: One Tribe, one Style? Paradigms in the Historio-
graphy of African Art. In: History in Africa / HA 11, 1984; S. 163-193.
Nebeneinander existieren hier die schwarzen Zelte
der nomadisierenden Tuareg, begleitet von halbrunden
Unterkünften der sie begleitenden Iklan, die aus Schilfgras
konstruierten tonnenartigen Häuser der fischenden Bozo
entlang des Niger, neben aus Lehm gefertigten amorphen
Felsenburgen der Dogon im Steilhang der Falaise Bandia-
garas über die stolzen, ebenfalls aus Lehm gefertigten Bür-
gerhäuser Segous und Moptis bis hin zur majestätischen
Großen Moschee in Djenne, dem größten Lehmgebäude
südlich der Sahara.
Vier dieser Kulturstätten wurden in den Jahren 1988–
2004 zumWeltkulturerbe erklärt. Dazu gehören die Lehm-
moscheen, Mausoleen und Friedhöfe in Timbuktu, die
islamische Stadt von Djenne mit ihrer Großen Moschee,
das Siedlungsgebiet, die Kultur und Architektur der
Dogon sowie das Grabmal von Askia, des ersten Königs
des Songhaireiches in Gao.
All diese Welterbestätten sind Ziele von Terrorangriffen
der radikalislamistischen Gruppen, die den Norden Malis
aus dem Staatsgefüge abspalten wollen und bereits die
Unabhängigkeit dieser Region „Azawad“ erklärt haben.
Sichtbares Zeichen der Bedrohung ist, dass diese Stätten
zwischenzeitlich auf die Rote Liste des gefährdeten Welt-
erbes der UNESCO aufgenommen werden mussten.
Wohngebäude der Iklan (Bouzou, Bella) in Timbuktu
Die große Moschee in Djenne, das größte Lehmgebäude südlich der Sahara,
das seit 1988 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde