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Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Dichtung, die persönliche Vermittlung und das gemein-

same Praktizieren der kulturellen Hintergründe wesent-

lich höhere Bedeutung hatte als das geschriebene Wort.

Diese Kunst wird von männlichen Griots bzw. weibli-

chen Griottes beherrscht und wurde im entlegensten Dorf

ebenso gepflegt wie bei Hofe. Selbst nach Einführung des

Islam, der bekanntermaßen über eine außerordentliche

Schriftkultur und Kalligrafie verfügt, blieb die Tradition

der oralen und musikalischen Übermittlung von Traditio-

nen, Geschichten und Ratschlägen inWestafrika lebendig.

Möglicherweise ist dies einer der Gründe dafür, dass in

Westafrika bis heute eine musikalische Kultur besteht, die

weltweite Beachtung findet. Auch erstaunt es nicht, dass

die Ursprünge des Blues und Jazz ebenfalls in der afrika-

nischen Musik vermutet werden, die durch die Sklaven-

transporte nach Amerika exportiert wurde.

Timbuktu mit seinen universitätsähnlichen Medersen

war das schriftliche Gedächtnis Afrikas. Hier wurden in

der Bibliothek „Ahmed Baba“, die erst 2011 mit einem

Neubau in Timbuktu neue Möglichkeiten der Sammlung,

Forschung und interdisziplinären, internationalen Arbeit

erhielt, rund 40.000 Unikate juristischer, theologischer

und philosophischer Traktate, naturwissenschaftlicher

und literarischer Schriften gesammelt und systematisch

aufgearbeitet. Aufgrund der bilderfeindlichen Vorstellun-

gen der Radikalislamisten wurde die Bibliothek in Brand

gesetzt und zerstört. Ziel war die Vernichtung der histori-

schen Unikate bei gleichzeitigem Aufbau einer Drohku-

lisse. Ein großer Teil der Schriften konnte jedoch recht-

zeitig vor der Zerstörung durch die Radikalislamisten in

Sicherheit gebracht werden.

Die unterschiedlichen Kulturen Malis haben ganz

erstaunlicheAlltagsartefakte, sakraleGegenstände, Schmuck

und Gebrauchsgegenstände erschaffen. Von Ergebnissen

der Metallurgie, des Gold- und Gelbgussverfahrens, über

Lehm- und Tongegenstände hin zu Holzschnitzereien von

Statuetten oder Masken bis hin zu einer Textil- und Textil-

färbekunst von ganz erstaunlicher Qualität.

Die sakralen Objekte wie Kraftfiguren werden i.d.R. von

den Schmieden als Auftragsarbeiten geschaffen. Sowohl

diese unterschiedlichen Zuständigkeiten, als auch der rege

kulturelle Austausch zwischen den unterschiedlichen Eth-

nien führt zu einem sehr großen gestalterischen Reichtum

der Alltagsartefakte ebenso wie der Sakralobjekte. Der For-

menreichtum und die Gestaltung dieser Objekte reicht

von vergleichsweise naturalistischen Darstellungen bis zu

erstaunlich abstrakten Geometrien. Es erstaunt in keiner

Weise, dass die Würde, die Archaik und die Abstraktion die

Dogon-Felder am Fuße der Falaise

Dächer und Innenhöfe Djennes