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Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Die Besiedelung der Region des heutigen Mali reicht

etwa 150.000 Jahre zurück. Im Nordosten des Landes

konnten Forscher aus Mali und der Schweiz 2009 die

ältesten derzeit nachweisbaren afrikanischen Keramiken

finden. Diese stammen aus einer Zeit um ca. 9.400 Jahren

vor unserer Zeitrechnung.

4

Westafrikanische Königreiche

Erstaunlich ist, zu welchem Zeitpunkt sich in dieser

Region hocheffiziente, stark hierarchisierte Königreiche

bilden und mit großem Erfolg halten konnten. Im Grenz-

gebiet des heutigen Mauretanien und Malis gründeten aus

der Sahara eingewanderte Berber im 4. und 5. Jahrhundert

das älteste sudanische Staatswesen, das Reich Ghana. Die

muslimisch geprägte Hauptstadt war bis 1230 Koumbi

Saleh. Samangaru Kante, Herrscher des Reiches Ghana,

wurde 1230 durch den malischen König Sundjata Keita

besiegt, was dazu führte, dass das Reich Ghana im Reich

Mali aufging.

Dieses gilt als das bedeutendste mittelalterliche Reich

in Westafrika. Sundiata Keïta, der erste Herrscher des

Königreichs Mali, soll der traditionellen mündlichen

Überlieferung zufolge 1222 feierlich in Kurukun Fuga die

Charta von Manden ausgerufen haben. Diese besteht aus

sieben Abschnitten und definiert grundlegende Rechte

wie Gleichheit und die Unantastbarkeit menschlichen

Lebens, Regeln für die soziale Organisation und das fried-

liche Zusammenleben in seinem Reich durchzusetzen.

Die UNESCO nahm die Manden-Charta 2009 in den

Katalog des UNESCO-Kulturerbes auf.

Seine größte Blüte und Ausdehnung erreichte das Reich

Mali Mitte des 14. Jahrhunderts unter der Herrschaft von

Kankan Moussa bzw. Mansa Moussa (1312-1337). Kankan

Mansa Moussa reiste mit einemmehrere tausend Menschen

zählenden Gefolge und mit großen Mengen Gold nach

Mekka. Er investierte derart großzügig, dass er dadurch eine

zwölfjährige Goldinflation in Ägypten bewirkte.

Auf dem Rückweg wurde er von dem Dichter und Bau-

meister Abu Es Haq es Saheli begleitet, der im Auftrag des

Herrschers neue Moscheen in Nordafrika errichten sollte.

Vermutlich entwickelte sich seit dieser Zeit in den Handels-

städten des westlichen Sudan der Baustil der sogenannten

„Sudangotik“. Diese Form der Lehmarchitektur kombi-

niert traditionelle Elemente der schwarzafrikanisch verna-

kulärer Architektur mit nordafrikanisch-saharischen Stilele-

menten. Kankan Mansa Moussa stiftete in Timbuktu die

4

http://www.slsa.ch/projekte/laufende-projekte/mali/

[Stand 28.10.2017].

Djinger-ber-Moschee, und damit, da in den Moscheen von

den geistigen Eliten auch unterrichtet wurde, erste univer-

sitätsähnliche Einrichtungen. Dadurch begann der Aufstieg

Timbuktus nicht allein als Handels-, sondern auch als Wis-

senschaftszentrum im Süden der Sahara.

Mit dem Niedergang des Reiches Mali, der wohl

hauptsächlich auf dynastische Konflikte zurückzuführen

ist, gewannen die Tuareg gegen Ende des 14. Jahrhunderts

die Herrschaft über Timbuktu.

Das dritte sudanische Großreich war das der Songhay,

das ab dem Ende des 14. bis ins 17. Jahrhundert die Nach-

folge Malis antrat. Es entwickelte sich im nordöstlichen Teil

des Nigerbogens im Raum Gao. Als einer der Endpunkte

des transsaharischen Handels hatte Gao bereits ab dem 9.

Jahrhundert eine strategisch wichtige Funktion als Han-

delsplatz. Diese Vorherrschaft endete durch einen Feld-

zug Marokkos, das Gao und Timbuktu eroberte und den

Gold- und Salzhandel für kurze Zeit kontrollierte. Die in

der Folge entstehenden Kleinreiche partizipierten immer

weniger amTranssaharahandel, der sich ostwärts verlagerte.

Es ist erstaunlich, welche Großreiche über eine Dauer

von zwei bis zu sieben Jahrhunderten Westafrika existier-

ten. Zu dieser Zeit einte das christliche Westeuropa das

Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das flächen-

mäßig deutlich kleiner war, als z.B. das Mali-Reich.

Bemerkenswert ist die nahezu parallele Entstehung

der Magna Charta 1215 in England und der Charta von

Manden in Kurukun Fuga 1222. Erstaunlich ist aller-

dings, dass die Magna Charta imWesentlichen Rechte der

„Freien Bürger“ und damit des Adels schützte, während

die Manden-Charta tatsächlich menschliche Grundrechte

sicherte.

Möglicherweise wurde in den westafrikanischen Viel-

völkerstaaten eine durch einen gemäßigten Islam und die

damit verbundene Toleranz vielfältige kulturelle Land-

schaft ermöglicht: Hier wurde nicht restriktiv missioniert,

sondern auch kultureller Austausch und eine damit ver-

bundene Entwicklung zumindest zugelassen.

Kolonisierung

Mit der Entdeckung der Seeroute um Afrika nach

Indien durch Vasco da Gama wurde das Handelsmono-

pol der Venezianer, Osmanen, Araber, Perser und Inder,

die vom Zwischenhandel auf der Landroute und über das

Mittelmeer profitierten, beendet.

Mit der Entdeckung und Kolonisierung Nordamerikas

betrieben mit dem beginnenden 16. Jahrhundert insbeson-

dere Briten, Brandenburger, Dänen, Franzosen, Niederlän-

der, Portugiesen und Schweden den für sie lukrativen Skla-