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Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
Es war dem Staat und den Kommunen Malis bereits vor
der Krise Nordmalis nur bedingt möglich diese Vorausset-
zungen zu erfüllen. Seit 2012 wuchs die Fragilität des staat-
lichen und kommunalen Systems allerdings deutlich weiter.
Möglicherweise hat die internationale Unterstützung
zumindest dafür gesorgt, dass sich die Situation nicht
rapide weiter verschlechtert hat bzw. die damit verbunde-
nen Prozesse zumindest verlangsamt werden konnten. Die
Migrations- und Binnenmigrationsprozesse konnten aber
weder aufgehalten, noch der Umgang mit deren Konse-
quenzen organisiert werden.
Unabhängig von den weltweiten Konfliktereignissen
wird der Beginn des 21. Jahrhunderts von einer tief grei-
fenden sozialräumlichen Reorganisation der Weltbevölke-
rung und einer historisch einzigartigen Urbanisierungsrate,
insbesondere in Afrika und Asien begleitet. Diese Entwick-
lungen sind u.a. den Folgen des Klimawandels geschuldet.
Die Landflucht, die durch die terroristischen Ereignisse
in Nordmali und die Ausrufung der Scharia dramatische
Konsequenzen hatte, führte zu einer Vielzahl von Spon-
tansiedlungen bzw. einer normalen informellen Stadt-
und Siedlungsentwicklung der urbanen Räume im Süden
des Landes. Die Kommunen, wie z.B. die Hauptstadt
Bamako, reagierten mit unregelmäßigen Räumungen der
Slumquartiere. Einzige Konsequenz dieser Maßnahmen
war schlussendlich das Anwachsen des Aggressionspoten-
zials in den betroffenen Quartieren.
Von 2014 bis 2016 wütete das Ebolafieber in einer gan-
zen Reihe westafrikanischer Staaten. Trotz des desolaten
Staatsgefüges stieg damit die Pflicht des Staates und der
Kommunen, hygienische Defizite zu identifizieren und
im Idealfall zu beseitigen. Als einer der Risikofaktoren
wurden die informellen Stadtentwicklungen identifiziert.
Spontan führte dies zu weiteren Räumungen der Slums.
Die Hilflosigkeit dieser Reaktion erschließt sich sofort.
Stellen diese Entwicklungen nur enorme Risikopoten-
ziale dar? Sind sie Herde von hygienischen Defiziten, der
Absenz von öffentlicher Ordnung, Sicherheit und ohne
jede wirtschaftliche Perspektive? Handelt es sich bei die-
sen Entwicklungen lediglich um unrechtmäßige Land-
nahmen, die zu wuchernden urbanen Krebsgeschwüren
mutieren und die Bewohner in Perspektivenlosigkeit,
Armut und Elend verzweifeln müssen?
Bei genauer Betrachtung konnten erstaunliche Selbstor-
ganisationsprozesse beobachtet werden. Es ist der informelle
Sektor, dem es gelingt, den täglichen Strom der Binnen-
flüchtlinge in Bamako zentral zu versorgen und an familiäre
oder verwandte Strukturen im Stadtgefüge zu verteilen und
damit sogar einen ökonomischen Nutzen zu erzielen.
Es sind die Selbstorganisationsprozesse der Frauen, die
in selbstaufgebauten, vereinsähnlichen Strukturen Mecha-
nismen entwickelt haben, die es mehr und mehr einzelnen
Frauen ermöglichen, über Prinzipien von mikrokreditähn-
lichen Sammlungen und Vergaben einen eigenen, selbst-
bestimmten Lebensmittel-
handel zu gründen.
Insbesondere diese eman-
zipierten und selbstständigen
Formen der Unternehmens-
gründungen der Frauen stel-
len in Summe sicherlich einen
beachtlichen Wirtschaftsmo-
tor dar. Daher lohnt es sich,
die Rolle der Frauen in den
zumindest westafrikanischen
Gesellschaften nochmals ge-
nau zu betrachten.
Esfindensichnämlichmat-
riarchal organisierte Gesell-
schaftsformen, wie z.B. die
Ashanti und die Akan in
Ghana oder die Yoruba und
die Bidjogo in Westafrika,
der Sudan oder die Tuareg
sowie die Berber der Kabylen.
In Mali selbst existieren eine
Informelle Marktstrukturen in Bamako