Table of Contents Table of Contents
Previous Page  74 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 74 / 80 Next Page
Page Background

74

Geformt aus Lehm und Sand – eine Zwischenbilanz zur postkolonialen Situation Malis

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Die klimatischen Veränderungen der letzten Jahre

und Jahrzehnte machten ein Überleben im Sahel zuneh-

mend schwieriger. Ethnien, die von der Subsistenzland-

wirtschaft, von ihrem Vieh oder vom Fischertrag lebten,

werden durch die klimatischen Änderungen zunehmend

vor Überlebensfragen gestellt. Eine zunehmende Deserti-

fikation, Dürren und sinkende Wasserspiegel machen ein

Überleben in diesen Regionen zunehmend schwieriger.

Wenn nun durch die Ausrufung des islamischen Rechts

der Scharia durch die radikalislamischen Gruppen zusätzlich

das kulturelle Leben zwangsweise massiven Veränderungen

unterworfen wird, was sich z.B. durch das Verbot von Musik

oder die Zerstörung sakraler Orte zeigt, so stellt sich nicht

nur für einzelne Familien im Norden die Frage der Migra-

tion, sie stellt sich für ganze Siedlungen und Städte.

In der Konsequenz verlassen ganze Siedlungsgemein-

schaften ihre traditionelle Heimat, migrieren innerhalb

des Staates nach Süden und bauen neue, informelle Struk-

turen in den urbanen Regionen im Süden Malis auf.

Die verlassenen Orte verfallen ausgesprochen schnell.

Häufig ist schon ein Jahr im unbewohnten Zustand aus-

reichend, dass von ganzen Ortschaften nur noch Reste der

Grundmauern zu finden sind.

Durch diese Entwicklungen sehen sich nun insbeson-

dere Kulturen zur Flucht gezwungen, deren kultureller

Ursprung häufig in der Flucht vor einer Zwangsislamisie-

rung gefunden werden kann, wie dies z.B. der Kultur der

Dogon nachgesagt wird.

6

Den in Malis stationierten, inter-

nationalen Friedenstruppen

Mission Intégrée des Nations

6 Hélène Leloup: Dogon, Somogy éditions d‘Art, Paris, 2010, dt. Fassung,

Orig. 2010.

Unies pour la Stabilisation au Mali

( MINUSMA) gelingt es

nicht, die Lage zu stabilisieren. Die zunehmend undurch-

sichtigere Gemengelage verschiedenster Konfliktparteien,

deren terroristische Akte sich schon seit Längerem nicht

allein auf den Norden des Lands beschränken, erschwert

die internationale Mission, der rund 11.000 Soldaten aus

fünfzig Ländern angehören. Der inzwischen über fünf Jahre

andauernde gewaltsame Konflikt hat nicht nur die Regie-

rung, sondern auch die Zivilbevölkerung ans Ende ihrer

Kräfte gebracht. Anfang April eröffnete Malis Präsident

Ibrahim Boubacar Keita daher eine neue Friedenskonferenz

mit den moderaten Konfliktparteien. Deren Forderungen

mit den Führern der radikalislamistischen Gruppierungen,

in diesem Fall mit Amadou Koufa, dem Anführer der

Force

de libération du Macina

(FLM) und Iyad Ag Ghali zu ver-

handeln und trotzdem den säkularen Charakter des Staates

beizubehalten, vereinfachte weder die Gesprächssituation,

noch stärkte dieser Versuch eines Dialogs den Rückhalt der

politischen Vertreter in der Bevölkerung. Gleichzeitig for-

dert Frankreich ein eindeutiges Bekenntnis der Staatsregie-

rung zu einem klaren Anti-Terror-Kurs.

Politische Reaktionsmöglichkeiten

Ist es dem existenten demokratischen Staatsgefüge

Malis, das aktuell über eine Parteienlandschaft mit mehr als

160 Parteien verfügt, möglich, diese Entwicklungen aktiv

zu beeinflussen? Bereits 2005 kam eine Untersuchung der

Friedrich-Ebert-Stiftung zu folgendem Zwischenergeb-

nis: „Nach dem Zerfall der sozialistisch-kommunistischen

Ideologie ist die Programmorientierung aller Parteien ins

Wanken gekommen. Koharente, durchdachte Partei- oder

Wahlprogramme gibt es nicht. [...] Was an Texten vorhan-

den ist, sind Bruch- und Versatzstucke von politischen,

wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen, die mehr

Pamphlet- als Programmcharakter haben. Daruber hinaus

ist der internationale Entwicklungsdialog so dominierend,

dass alle Parteien mehr oder weniger die Thesen von Welt-

bank, UNDP oder Europaischer Union als ihr Programm

wiedergeben: Armutsbekampfung, Good Governance,

Bildung, Gesundheit, Globalisierung.“

7

Während 2013 die Hauptaufmerksamkeit auf den Kon-

flikt im Umgang mit dem Norden und den Autonomiefor-

derungen der Nationalen Bewegung für die Befreiung des

Azawad („

Mouvement National de Liberation de I´ Azawad

“,

MNLA) gerichtet waren, spielten im Wahlkampf 2013

7 Klaus-Peter Treydte/Dicko Abdourhamane/Salabary Doumbia: Parteien

und Parteiensysteme in Afrika, Berichte der Friedrich-Ebert-Stiftung, Po-

litische Parteien und Parteiensysteme in Mali, Juli 2005, S. 15.

Dogon-Felder - im Hintergrund das Dorf Teli im Steilhang der Falaise