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Einsichten und Perspektiven 4 | 17
Rote Garden auf dem Schlossplatz in Petrograd, 13. Mai 1917
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hinterher: „Ihr seid elende Bankrotteure, Eure Rolle ist
ausgespielt. Geht, wohin Ihr gehört: auf den Müllhaufen
der Geschichte!“
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Kerenskij konnte sich zwar dem Zugriff der Roten Gar-
den entziehen, um von Pskov aus dann einen Angriff auf
Petrograd auf den Weg zu bringen. Doch die entsandten
Truppen erwiesen sich als schwach; ihren Angriff konnten
die Petrograder Milizen schnell abwehren. Damit hatten die
neuen Machthaber die stürmische Anfangsphase zunächst
einmal überstanden und ihre Positionen behauptet.
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Bis heute wird darüber gestritten, ob die Tage Ende
Oktober 1917 wirklich als Revolution oder besser nur als
Putsch oder konspirativer Staatsstreich bezeichnet werden
sollten. So wagemutig das Unterfangen der Bolschewiki
61 Smith (wie Anm. 13), S. 58; Bonwetsch (wie Anm. 22), S. 189-198; Service
(wie Anm. 45), S. 407-417.
62 Hildermeier (wie Anm. 37), S. 36; Read (wie Anm. 25), S. 117.
auch gewesen sein mag, es glich einer Geschäftsüber-
nahme im Rahmen eines politischen Insolvenzverfahrens.
In seiner monumentalen Revolutionsgeschichte bezeich-
nete selbst Trotzkij, der die Machteroberung organisiert
und koordiniert hatte, die Berichte über die entscheiden-
den Episoden der Oktobernacht als „dürftig“ und „farb-
los“. Es fehlten „große Massenhandlungen, dramatische
Zusammenstöße mit den Truppen; es fehlte alles, was mit
einer Revolution gemeinhin verbunden wird.“
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Als die
Roten Garden so ohne größere Gefechte den Winterpalast
besetzten, nahmen andernorts Opern, Theater- und Kino-
aufführungen ihren gewohnten Gang. Auch der öffentli-
che Nahverkehr funktionierte in den stürmischen Okto-
bertagen weitgehend reibungslos. Selbst Lenin fuhr mit
63 Leo Trotzki: Geschichte der russischen Revolution. Zweiter Teil: Oktober-
revolution, Frankfurt am Main 1973, S. 879 u. 886.
Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932 Teil 3