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Einsichten und Perspektiven 4 | 17
Als die Bolschewiki erkannten, dass sich ihr Glaube
an die anbrechende Weltrevolution als Trugschluss
erwies, bemerkten sie, dass es recht einfach war, in
einem Dekret den Willen zum Frieden zu bekunden,
aber umso schwieriger, den Krieg wirklich zu beenden.
Im Anschluss an die Oktoberrevolution war es zwar
zunächst zu einemWaffenstillstand mit den Mittelmäch-
ten gekommen. Bei den im Dezember 1917 beginnen-
den offiziellen Friedensverhandlungen, denen auf sow-
jetischer Seite Trotzkij vorstand, entbrannten angesichts
der harten deutschen Forderungen bald aber heftige
Kontroversen. Vor allem die linken Sozialrevolutionäre
stemmten sich vehement gegen einen Diktatfrieden und
wussten sich darin einig mit ihrem rechten Parteiflügel,
den Menschewiki, und auch den Liberalen. Um Druck
zu machen, rückten deutsche Truppen im Februar 1918
bedrohlich nahe an Petrograd heran, so dass die sowjeti-
sche Hauptstadt damals nach Moskau verlegt wurde und
damit fortan der dortige Kreml zum politischen Zent-
rum Sowjetrusslands aufstieg. Angesichts des raschen
Vormarschs der deutschen Truppen mussten Lenin und
Trotzkij schließlich den „Schandfrieden“ von Brest-
Litovsk am 18. März 1918 akzeptieren.
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Der Preis für
die Beendigung des Kriegs mit Deutschland war für den
neuen Sowjetstaat außerordentlich hoch. Er verlor Finn-
land, das Baltikum, Weißrussland und die wichtige Ukra-
76 Rabinowitch (wie Anm. 52), S. 132-209; Pipes (wie Anm. 45), Bd. 2,
S. 387-450; Figes (wie Anm. 23), S. 568-584; McMeekin (wie Anm. 26), S.
225-252; Borislav Chernev: Twilight of Empire. The Brest-Litovsk Confe-
rence and the Remaking of East-Central Europe, 1917-1918, Toronto 2017.
ine mit ihren Kornkammern und den bedeutenden Indus-
triezentren des Donbass. Auf den abzutretenden Gebieten
lebten damals 60 Millionen Menschen und damit knapp
ein Drittel der Gesamtbevölkerung des einstigen Rus-
sischen Reichs. Zudem spaltete der erpresste Friedens-
schluss endgültig die politische Allianz zwischen den Bol-
schewiki und den linken Sozialrevolutionären, die jetzt
aus der Regierung austraten und sogar wieder zum Mittel
des politischen Terrors griffen. Im Sommer 1918 lieferten
die Ermordung des deutschen Diplomaten Wilhelm von
Mirbach-Harff und des Petrograder Tscheka-Chefs sowie
das fehlgeschlagene Attentat der Anarchistin Fanny Kap-
lan auf Lenin den Bolschewiki einen guten Vorwand, um
mit der gesamten Macht ihres Unterdrückungsapparats
gegen Sozialrevolutionäre und Anarchisten vorzugehen.
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77 Pipes (wie Anm. 45), Bd. 2, S. 499-517; Service (wie Anm. 45), S. 468 ff.
u. 473-479; Scott B. Smith: Who Shot Lenin? Fania Kaplan, the SR Under-
ground, and the August 1918 Assassination Attempt on Lenin, in: Jahrbü-
cher für Geschichte Osteuropas 46 (1998), H.1, S. 100-119.
Schlusssitzung der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk
Der Friedensvertrag, unterzeichnet von: A. Joffe, Oberst Gantscheff, Baron
Mirbach, Hauptmann Hey, Horn, Kapitän zur See, Rittmeister von Rosenberg,
Major Brinckmann, Generalmajor Hoffmann, Prinz Leopold von Bayern
Fotos: /Imagno/Austrian Archives/ullsteinbild
Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932 Teil 3