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Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
Bayern war vor 1913/1914 ein anderes Land als nach
dem Ende der Monarchie, nach der Revolution, den Räte-
republiken und ihrer gewaltsamen Niederschlagung durch
Regierungstruppen und Freikorps. Es ist kein Zufall, dass
viele historische Studien 1914 enden, andere sich mit
1918/19 und wieder andere mit Bayern in der Weimarer
Republik oder dem Aufstieg des Nationalsozialismus befas-
sen: Es begann nach dem Krieg nicht nur die Republik. Die
Entwicklungen nach Revolution und Räterepublik schufen
eine politische Stimmung, in der sich die Gewichte stark
zugunsten der politischen Rechten verschoben.
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Kräfte und
Ideen, die vor dem Ersten Weltkrieg eine Randerscheinung
in der Stadt waren, rückten nun in das Zentrum der poli-
tischen Auseinandersetzung.
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Mit dem Separatismus, Anti-
modernismus und Antiliberalismus der „Ordnungszelle
Bayern“ unter Gustav von Kahr entfernte sich die baye-
rische Politik immer weiter von dem Geist der Jahre und
Jahrzehnte vor dem Krieg, die Thomas Mann rückblickend
1926 im Rahmen der Münchner Kunststadt-Debatte
beschwor:
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„Es war eine Atmosphäre der Menschlichkeit,
des duldsamen Individualismus, der Maskenfreiheit sozusa-
gen; eine Atmosphäre von heiterer Sinnlichkeit, von Künst-
lertum; eine Stimmung von Lebensfreundlichkeit, Jugend,
Volkstümlichkeit, jener Volkstümlichkeit, auf deren gesun-
der derber Krume das Eigentümlichste, Zarteste, Kühnste,
exotische Pflanzen manchmal, unter wahrhaft gutmüti-
gen Umstanden gedeihen konnten.“ „Reisende, meidet
Bayern!“ schrieb Kurt Tucholsky im Februar 1924 in der
„Weltbühne“, nachdem Bayern Passkontrollen zum restli-
chen Reich eingeführt hatte.
4
„In einem Sommer der tiefs-
1 Bernhard Grau: Revolution, 1918/1919, in: Historisches Lexikon Bay-
erns, URL:
<http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/arti-kel_44332> [Stand: 07.03.2014]; Martin H. Geyer: Verkehrte Welt. Re-
volution, Inflation und Moderne. München 1914–1924 (Kritische Studien
zur Geschichtswissenschaft 128), Göttingen 1998; Marita Krauss/Florian
Beck (Hg.): Leben in München von der Jahrhundertwende bis 1933, Mün-
chen 1990; Karl Bosl (Hg.): Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918,
ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München 1969.
2 Friedrich Prinz/Marita Krauss (Hg.): München – Musenstadt mit Hinter-
höfen. Die Prinzregentenzeit 1886–1912, München 1988; Karl-Heinrich
Pohl: Die Münchener Arbeiterbewegung. Sozialdemokratische Partei, Freie
Gewerkschaften, Staat und Gesellschaft in München 1890–1914 (Schrif-
tenreihe der Georg-von Vollmar-Akademie, Bd. 4), München 1992; Ulrike
Leutheusser/Hermann Rumschöttel (Hg.): Prinzregent Luitpold von Bay-
ern. Ein Wittelsbacher zwischen Tradition und Moderne (edition mona-
censia), München 2012.
3 Thomas Mann, in: ders. (Hg.): Kampf um München als Kulturzentrum. Sechs
Vorträge von Th. Mann, H. Mann, L. Weissmantel, W. Geiger, W. Courvoisier
und P. Renner mit einem Vorwort von Th. Mann, München 1927, S. 9.
4 Kurt Tucholsky: Reisende, meidet Bayern, in: ders.: Gesammelte Werke in
zehn Bänden, Reinbek 1960, Bd. 3 1921–1924, S. 370–374 (erstveröffent-
licht als Ignaz Wrobel, in: Die Weltbühne, 7.2.1924, Nr. 6, S. 164).
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem gerade
erschienenen Band „Bayern und der Erste Welt-
krieg“, München 2017, hg. von der Bayerischen
Landeszentrale für politische Bildungsarbeit
und dem Bayerischen Armeemuseum, koordi-
niert von Prof. Dr. Günther Kronenbitter und Dr.
Markus Pöhlmann. Erhältlich ist die Publikation
für 4 Euro über das Publikationsportal der Lan-
deszentrale:
https://www.bestellen.bayern.de/oder im Baye-
rischen Armeemuseum Ingolstadt
ten Schande saßen 51 sozialistische und kommunistische
Reichstagsabgeordnete während ihres Sommerurlaubs in
den bayerischen Bergen, weil man ja Politik und Privat-
leben nicht vermengen darf. Eisner war ermordet, Land-
auer zertreten und gefleddert, Toller eingesperrt, Mühsam
gequält, Fechenbach ruiniert – diese 51 und tausende von
deutschen Juden, Republikanern, Oppositionellen aller
Schattierungen gaben den Bayern Geld zu verdienen. Bis
die so dumm waren, durch immer gröbere Schikanen
jeden Fremdenverkehr zu unterbinden. Sie verlangen von