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Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Als die Alliierten die Reduzierung der regulären Armee

durchsetzten, entstand aus lokalen militärischen Wehrein-

heiten aus München und Nürnberg 1919 die kasernierte

„Staatliche Polizeiwehr Bayerns“, die 1920 in „Bayerische

Landespolizei“ umbenannt wurde.

14

Sie war ein wichtiges

Element der „Ordnungszelle Bayern“. Ihr Chef Hans Rit-

ter von Seißer, ein rechtsgerichteter Mann mit besten wirt-

schaftsbürgerlichen Beziehungen, führte die inzwischen

über 17.000 Mann starke militarisierte Polizeitruppe durch

viele ihrer überwiegend gegen links gerichteten Einsätze

der nächsten Jahre. Ihre Hauptaufgabe lag im Vorgehen

gegen innere Unruhen, viele ihrer Mitglieder entstamm-

ten der ehemaligen bayerischen Armee oder den Freikorps

und waren ohne polizeiliche Ausbildung. Auch den Hit-

lerputsch vom November 1923 schlug diese Polizeitruppe

nieder; Seißer selber war in den Putsch verwickelt gewesen

und seine Truppe wurde erst spät gegen die Putschisten in

Stellung gebracht. Dennoch blieb Seißer bis 1930 Chef der

Landespolizei, die nach 1924 etwas besser mit der zivilen

Polizei – der Gendarmerie, den Schutzmannschaften und

den Gemeindepolizeien –, verbunden wurde, sich moder-

nisierte und professionalisierte. Bei der Machtübernahme

der Nationalsozialisten verhielt sich die Polizeitruppe passiv,

wurde aber gleich für die Zwecke des neuen Regimes ein-

gesetzt: zur Ausbildung von SA, SS und anderen, oder zur

Bewachung der Konzentrationslager. 1935 übernahm die

Wehrmacht komplett diese ehemalige Bayerische Landes-

polizei, die inzwischen Teil der Schutzpolizei des Reiches

geworden war. Damit war sie wieder dort angekommen, wo

sie von ihrer Ausrichtung her hingehörte: beim Militär.

Der Gewaltexzess beim Einmarsch in München 1919

kam nicht von ungefähr. Die Entgrenzung der Gewalt im

Krieg prägte die Generation der Kriegsteilnehmer.

15

Liest

man die Gewaltphantasien der Freikorpsgeneration, wie sie

Klaus Theweleit in seiner „Psychoanalyse des weißen Ter-

rors“ zusammengetragen hat,

16

so wird die völlige innere

Enthemmung im Umgang mit Menschen sichtbar: Er

untersucht Sexualität und Drill in den Kasernen, die Bezie-

14 Gerhard Fürmetz: Bayerische Landespolizei, 1920–1935, in: Historisches

Lexikon Bayerns, URL:

<http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/arti-

kel/artikel_44423> [Stand: 19.12.2014]; danach die folgenden Gedanken.

15 Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg: Töten – Überleben – Ver-

weigern, Essen 2013.

16 Klaus Theweleit: Männerphantasien, Bd. 1: Frauen, Fluten, Körper, Ge-

schichte, Frankfurt am Main 1977; Bd. 2: Männerkörper – zur Psycho-

analyse des weißen Terrors, Frankfurt am Main 1978; vgl. zur Einordnung

Sven Reichardt: Klaus Theweleits „Männerphantasien – ein Erfolgsbuch

der 1970er Jahre, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contempora-

ry History, Online-Ausgabe, 3 (2006), H. 3, URL:

http://www.zeithistori

-

sche-forschungen.de/3

–2006/id=4650 (20.12.2014).

hung zwischen Kampf und Körper. Das Heer ist Abbild

und Gegenbild der Masse in einem: Die Masse wirkt

bedrohlich, angsteinflößend; der Befehl, der das Heer lenkt,

bändigt die Masse, er gibt auch dem eigenen Körper wieder

eine Form und verhindert seine Auflösung. Die gefeierte

Masse ist immer eine formierte, eingedämmte, von einem

Führer überragte. Die verachtete Masse wird als flüssig,

schleimig, brodelnd diffamiert. Diese Masse wird zu einer

Verkörperung des eigenen Unbewussten, das man fürchtet.

Die militärische oder paramilitärische Formation der

Freikorps oder der politischen Geheimbünde gab Halt und

Sicherheit.

17

Die Freikorps wurden nach 1918 von Ernst

Jünger und anderen zum Inbegriff einer bestimmten – über-

legenen – Kultur erklärt, der Kultur des Männlichen, des

Soldatischen. Der heroische Tötungsakt trat an die Stelle

des Liebesaktes. Der Freikorpsmann Friedrich Wilhelm

Heinz schrieb 1932 über die „flammende Kriegsbesessen-

heit und kalte Kriegsbemeisterung“ der deutschen Jugend

in den Freikorps:

18

„Dieses Element lebte in den magischen

Bezirken, wo die Bruderschaft mit dem Tode das Leben erst

süß und reizvoll machte, und es liegen genügend Zeugnisse

dafür vor, daß das vor demTode grausende französische Volk

mit wahrhaft höllischem Entsetzen auf dieses Deutschland

schaute, das geradezu in den Tod verliebt zu sein schien.“

Diese in den Tod Verliebten konnten das Morden nicht

lassen, nur weil der Krieg zu Ende war. Sie fanden bald

wieder ihre Feinde:

19

Zunächst diejenigen, die ihnen den

Sieg gestohlen zu haben schienen, die linken Revolutionäre

von 1918/1919, ebenso die Politiker, die den Vertrag von

Versailles unterzeichnet hatten und auf seine Einhaltung

achteten, letztlich die gesamte nichtmilitärische Welt, die

Welt der Väter und des bürgerlichen Broterwerbs, die nicht

aus Heroismus, Kampf und Todeskitzel bestand. Dazu

Friedrich Wilhelm Heinz: 

20

„Man redete uns vor, daß der

Krieg zu Ende sei. Wir lachten darüber. Denn der Krieg,

das waren wir selbst. Seine Flamme brannte in uns fort und

umzog unser ganzes Tun mit dem glühenden und unheim-

17 Martin Sabrow: Organisation Consul (O.C.), 1920–1922, in: Historisches

Lexikon Bayerns, URL:

<http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/arti-

kel/artikel_44323> [Stand: 01.12.2014].

18 Friedrich Wilhelm Heinz: Die Nation greift an. Geschichte und Kritik des

soldatischen Nationalismus, Berlin 1932, S. 191; zu Heinz auch Susanne

Meinl: Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Oppo-

sition um Friedrich-Wilhelm Heinz, Berlin 2000.

19 Marita Krauss: „Rechte Männer“. Freikorps und Feme in den frühen 20er

Jahren, Hörfunksendung Bayern 2, 19.9.1999; dies: „Wir haben das hier

in München alles nicht so ernst genommen“. Von der Revolution 1918 bis

zum Zweiten Weltkrieg, Hörfunkfunksendung Bayern 2, 05.01.2000.

20 Friedrich Wilhelm Heinz: Sprengstoff, Berlin 1930, S.7.