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Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

1919 aus Rosenheim nach Berlin über seine Tätigkeit:

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„Ich glaube sagen zu können, daß ich in Rosenheim und

Umgebung gute Arbeit verrichtet habe. Als Beweis möchte

ich nur folgendes anführen: Am 27./28.September war in

Rosenheim das erste große Schießen der Bauernwehren

des Chiemgaues. Es waren mehrere 1.000 bewaffnete Bau-

ern da. An diese hielt ihr Führer eine Ansprache, in der er

u.a. ausführte, daß sie sich nie mehr der Gewalt ‚jüdischer

Schlawiner‘ fügen wollten. Hier erhob sich gewaltiges all-

seitiges Beifallsgeschrei […] Auch sonst machen unsere

Gedanken hier überall gewaltige Fortschritte, selbst in

Arbeiterkreisen beginnt es zu dämmern […]. In unserem

Schutz und Trutz Bund muß jeder Platz finden, der gut

deutsch denkt, das Beste unseres Volkes will und erkannt

hat, daß die Juden unser Verderb sind.“ Es ließen sich also

zunehmend konservativ-patriotische Kreise von rechts-

nationalem, antisemitischem Gedankengut beeindrucken.

Monarchistisch-separatistische Kreise um Kahr stützen

die Putschabsichten der Rechten; eigentlich wurden zwei

Putschversuche vorbereitet: Hitler zu etablieren lag nicht

in Kahrs Interesse. Im Krieg war zwar die Ablehnung der

Monarchie Ludwigs des III. gewachsen. Ihre Wiederein-

führung war aber das Ziel vieler Monarchisten, ebenso

die Lösung aus dem Verbund mit Preußen. Mit Preu-

ßen hatte man gekämpft und verloren. Dass solche Ideen

ernst genommen wurden, zeigt die Tatsache, dass Mus-

solini nach 1922 den Mehrfachagenten Robert de Fiori

für detaillierte Berichte über diese separatistischen Kreise

engagierte: 

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Eine Alpenföderation zwischen Bayern und

Österreich hätte Mussolinis Anspruch auf Südtirol mas-

siv in Frage stellen können. Wie übrigens auch nach dem

Zweiten Weltkrieg erwies sich der „Los von Preußen-

Gedanke“ als ein mächtiges verbindendes Element unter-

schiedlichster Personen und Kreise.

„Reisende, meidet Bayern“ – der Erste Weltkrieg hatte

Bayern verändert, er hatte konservative Strömungen ver-

stärkt, radikalisiert, militarisiert. Das alte Bayern war ver-

sunken, das neue fand nicht genügend Kraft für einen

demokratischen Neuanfang. Dazu bedurfte es, nach einem

weiteren schrecklichen Krieg und vielen Millionen Toten,

einer zweiten Nachkriegszeit, einer zweiten Chance.

48 Zit. n. Krauss (wie Anm. 19), „Wir haben das hier in München alles nicht

so ernst genommen“.

49 Marita Krauss: Deckname „Edelweiß“. Robert de Fiori, bayerisch-italieni-

scher Doppelagent, Hörfunksendung Bayern 2, 01.05.2010.

Während der Räterepublik wich das bayerische Kabinett unter Ministerprä-

sident Johannes Hoffmann nach Bamberg aus, hier eine Aufnahme aus dem

Mai 1919

Foto: sz-photo/Scherl