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Die Ausstellung „‚Rassendiagnose: Zigeuner‘. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf umAnerkennung“
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
am Dokumentationszentrum Reichparteitagsgelände in
Nürnberg und am NS-Dokumentationszentrum in Köln
zu sehen, und läuft nun bis zum 7. Januar 2018 am Bay-
erischen Armeemuseum. Hier hat sie zweifellos einen
besonders herausgehobenen Platz, und das aus vielerlei
Gründen. Zunächst einmal zeigen viele der genannten
privaten Fotografien Angehörige der Minderheit stolz in
Uniformen der Staaten des Deutschen Kaiserreichs aus der
Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Uniform ist hier immer
auch ein Zeichen dafür, in der Gesellschaft angekommen
zu sein. Diese Fotografien machen den Zivilisations- und
Vertrauensbruch der späteren radikalen Entrechtung in
besonderer Schärfe deutlich. Es wirkte wie ein ferner Spie-
gel, dass Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats
Deutscher Sinti und Roma, in seiner Festrede betonte,
wie sehr er sich freue, dass so viele Angehörige von Bun-
deswehr und Polizei in Uniform zu „seiner“ Eröffnung
gekommen seien.
Sodann besteht unter demDach des Bayerischen Armee-
museums seit 2011 das Bayerische Polizeimuseum. Bei der
bayerischen Polizei wurde seit dem ausgehenden 19. Jahr-
hundert eine umfangreiche „Zigeunerkartei“ geführt, die
1938 ins Reichskriminalpolizeiamt nach Berlin überführt
wurde. Sie bildete damit eine zentrale Datengrundlage für
den vom Reichssicherheitshauptamt als gewaltiges Staats-
verbrechen gesteuerten Holocaust. Das Armeemuseum
stellt sich heute als ein Museum staatlich organisierter
Ordnungsmacht dar. Die Gewalthoheit des Staates hat
ihren Sinn darin, das friedliche Zusammenleben seiner
Bewohner zu garantieren, das eben nicht durch zwischen-
menschliche Gewaltakte gestört werden soll. In den Hän-
den eines verbrecherischen Regimes und im Dienst der
Tyrannei einer auf Bereicherung und Ausgrenzung zielen-
den Mehrheit aber wird sie zum Alptraum. Das Schreckli-
che, das Sinti und Roma unter der nationalsozialistischen
Herrschaft erlebten, war lange Zeit kaum ein Thema in
unserer Erinnerung. Die Ausstellung leistet insofern einen
wichtigen Beitrag gegen Verdrängung und Vergessen.
Themen der Ausstellung
Nach einem knappen Vorspann, der das Widerspiel von
Ausgrenzung und Integration in den Jahrzehnten vor dem
Holocaust thematisiert, wendet sich die Ausstellung direkt
dem „Völkermord an den Sinti und Roma im nationalso-
zialistisch besetzten Europa“ zu. Schon dieser Titel betont
die Spannung zwischen dem Nationalsozialismus und
Europa. Zugleich wird der enge Zusammenhang zwischen
dem Beginn des Krieges und dem Beginn des grenzen-
losen Mordens an der Zivilbevölkerung akzentuiert. Der
Völkermord traf nicht nur die deutschen Sinti, sondern
Roma in fast ganz Europa. Deportation und Ermordung
traf nicht nur Sinti und Roma in den unmittelbar besetz-
ten Gebieten. Auch mit dem Deutschen Reich verbündete
Regime wie etwa in Rumänien arbeiteten der Vernich-
tungspolitik der Nationalsozialisten zu. Der Holocaust
ist insofern ein europäisches Phänomen, das zugleich aber
nur unter dem Druck der hegemonialen Expansion des
Deutschen Reiches möglich wurde.
Im Kern der Absichten des Regimes stand neben der
Vision eines maßlosen Revanchefeldzugs für die militäri-
sche Niederlage im Ersten Weltkrieg der Rassegedanke. Er
trat an die Stelle des Nationalgedankens. Dieser hatte zwar
schon seit der Französischen Revolution offensichtlich
aggressive Merkmale nach innen und außen gehabt, aber
er war doch von den Idealen der Freiheit, Demokratie und
Gleichheit nicht völlig trennbar, und selbstverständlich
waren die ansässigen Sinti und Roma Bürger der Weima-
rer Republik. Der Nationalsozialismus setzte an die Stelle
des Bürgerrechts die Vorstellung von der Zugehörigkeit
eines Menschen zu einer bestimmten Rasse. Eine krude
biologische Rassenlehre sollte nun darüber entscheiden,
ob ein Mensch Rechte hat oder nicht. Der individuelle
Mensch selbst konnte nach dieser Vorstellung gar keinen
Einfluss darauf haben. Die konkrete Realisierung dieses
Grundsatzes führte zu ganz willkürlichen bürokratischen
Definitionen. Als Jude sollte nach den Nürnberger Ras-
segesetzen von 1936 ein Mensch gelten, der drei jüdische
Großeltern hatte – in diesem biologistischen Denken sollte
dabei einer individuellen Konversion keine Bedeutung
zukommen. Nun waren aber die „Zigeuner“ nicht wie
die Juden bürokratisch nach der Religion klassifizierbar.
Schließlich waren sie zumeist Katholiken. Unter anderem
deshalb spielte beim Genozid an den Sinti und Roma ein
wissenschaftliches Institut eine Schlüsselrolle. In der von
Robert Ritter geleiteten „Rassenhygienischen Forschungs-
stelle“ in Berlin wurden biologische Gutachten zu den in
Polizeikarteien als „Zigeuner“ erfassten Menschen erstellt.
Da eine DNS-Untersuchung damals noch nicht möglich
war, behalf man sich mit Abstammungstafeln und der
Feststellung äußerer anthropologischer Merkmale wie
Haarfarbe und Gesichtsformen, um ein – vorgeblich min-
derwertiges – „Volk“ zu identifizieren, das dann von der
„Volksgemeinschaft“ der Deutschen abgesondert werden
sollte. An vielen „untersuchten“ Menschen wurden auch
medizinische Experimente durchgeführt.
Zugleich und zum Teil schon vorher öffnete das nati-
onalsozialistische Regime die Schleusen zur Umsetzung
schon früher angedachter Repressionsmaßnahmen. So