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Die Ausstellung „‚Rassendiagnose: Zigeuner‘. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf umAnerkennung“

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma ist erst mit großer

Verzögerung ein Thema der Geschichtswissenschaft und der öffentlichen Erin-

nerung in Veranstaltungen, Denkmälern und Museen geworden. Die Ausstellung

„‚Rassendiagnose: Zigeuner‘. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti

und Roma und der lange Kampf um Anerkennung“, die vom Dokumentations-

zentrum Deutscher Sinti und Roma erstellt und vor kurzem im Bayerischen

Armeemuseum in Ingolstadt eröffnet wurde, fußt auf umfangreichen, langjäh-

rigen Recherchen, die viel neues Material zutage gebracht haben. Sie informiert

eine breite Öffentlichkeit über das Schicksal der Menschen, die 1933-1945

Opfer der „Rassendiagnose Zigeuner“ wurden. Und sie stellt die Bedeutung

heraus, die die Erinnerung an den Völkermord für Sinti und Roma heute hat.

Die europäischen Roma und der Holocaust

Die Geschichte der Sinti und Roma ist seit dem Mit-

telalter Teil der europäischen Geschichte. Es handelt sich

um eine komplexe Geschichte von Niederlassung und

Migration, von Eigensinn und Anpassung, von Berufs-

tätigkeit, Religion und Kultur. Sinti und Roma waren

in vielen europäischen Ländern beheimatet. Der Begriff

Roma kann dabei als ein Überbegriff verwendet wer-

den, er bezeichnet alle Angehörigen der Volksgruppe,

während mit Sinti speziell diejenigen Gruppen benannt

werden, die sich im deutschsprachigen Raum niedergelas-

sen haben. Allerdings hat sich seit den 1980er Jahren die

Bezeichnung „Sinti und Roma“ etabliert, da sich Selbst-

und Fremdbezeichnungen über die Jahrhunderte immer

wieder verschoben haben. Über die im Lauf der Jahrhun-

derte immer schärfer definierten Landesgrenzen hinweg

verband Sinti und Roma eine gemeinsame Sprache, das

Romanes, so sehr dieses in den verschiedenen Ländern

Abwandlungen erfuhr. Es verband sie zumeist, wenn auch

nicht immer, die katholische Religion, und schließlich ein

differenziertes Netzwerk von Familien-, Clan- und Hei-

ratsbeziehungen. Es gab ein Gefühl der Zusammengehö-

rigkeit oder jedenfalls des Unterschieds zu den „Gadje“,

wie die Angehörigen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft

genannt wurden. Damit korrespondierte eine ausgeprägte

Ausgrenzung durch diese Mehrheitsgesellschaften. In vie-

len Abstufungen hielt man es in diesen Gesellschaften

immer für klar, dass die Sinti und Roma nicht einfach

nur Mitglieder des jeweiligen Dorfes, der Stadt, der Land-

schaft oder des Staates seien, sondern zugleich eben auch

etwas „Anderes“, dass sie zugleich einer eigenen, fremden

Welt angehörten. Dies machte sie aus der Perspektive der

Mehrheitsgesellschaft „verdächtig“, und zwar nicht erst

im Zeitalter der Nationalstaaten. So ist die Geschichte

der Sinti und Roma immer auch eine Geschichte der

rechtlichen, sozialen und ökonomischen Diskriminie-

rungen gewesen, zugleich aber ist sie eine faszinierende

Geschichte des Eigensinns, des Überlebenswillens und

der Überlebenskunst.

Die Geschichte der Sinti und Roma ist nicht einfach

zu erzählen. Die Zuschreibungen, die die Minderheit

erfuhr, waren vielfach in sich widersprüchlich. So wurden

Angehörige der Familie Bamberger auf einer Aufnahme aus den 1930er

Jahren. Margarete Bamberger (links vorne) wurde später nach Auschwitz

deportiert. Max Bamberger (ganz rechts) wurde auf der Flucht in Jugosla-

wien kurz vor Kriegsende Opfer eines Massakers.

Foto: Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg