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Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

Adams Lehmann und Constanze Hallgarten.

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Sie setzten

sich für den Frieden ein, Augspurg und Heymann waren

Mitorganisatorinnen des internationalen Frauenfriedens-

kongresses 1915 in Den Haag, Hope Adams Lehmann

reiste illegal zu einer Friedensmission nach England. Die

Linke vergaß die eigenen Versprechen nach Kriegsende

nicht: 1918 verabschiedete der Rat der Volksbeauftragten

das Wahlgesetz, das Frauen über 21 Jahren das uneinge-

schränkte aktive und passive Wahlrecht zusprach. Bei der

ersten Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung in

Weimar gingen 90 Prozent der Wählerinnen zur Urne.

Sie wählten zehn Prozent weibliche Abgeordnete in die

Versammlung – eine Zahl, die erst 1983 im Deutschen

Bundestag wieder erreicht wurde. Für Bayern war dies als

erste weibliche Reichstagsabgeordnete die Sozialdemokra-

tin Toni Pfülf.

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Doch die Frauenbewegung konnte in der neuen Zeit

nicht mehr richtig Fuß fassen: Manche Verbände lös-

ten sich nach der Einführung des Frauenwahlrechts auf,

andere verloren während der Weimarer Zeit zunehmend

ihre Mitglieder, sie galten als unmodern und überholt. Es

änderte sich grundlegend das Frauenbild:

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Frauen und

Jugendliche hatten bereits während des Krieges im Rah-

men der totalen Mobilisierung in der Rüstung gearbeitet;

nun wurde Frauenarbeit immer selbstverständlicher – vor

allem als Büroangestellte, als Stenotypistin, Telefonistin,

Laborantin. Die Veränderungen zeigten sich auch an der

Kleidung: Frau durfte nun Hosen tragen. Korsett und lan-

ger Frauenrock gehörten der Vergangenheit an, die Rock-

säume hoben sich, der Bubikopf und das Charlestonkleid

gehören zum Bild der „Goldenen zwanziger Jahre“. Der

Sport eroberte die Welt der Frauen und die Frau wuchs

immer mehr in ihre Rolle als „Kameradin“ hinein.

38 Hiltrud Häntzschel: „Nur wer feige ist, nimmt die Waffe in die Hand“.

München – Zentrum der Frauenfriedensbewegung 1899–1933, in: Sy-

bille Krafft (Hg.): Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und

Frieden 1900–1950, München 1995, S. 18–40; Anna Dünnebier/Ursula

Scheu: Die Rebellion ist eine Frau. Anita Augspurg und Lida G. Heymann.

Das schillerndste Paar der Frauenbewegung, Kreuzlingen-München 2002;

Marita Krauss: Hope. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann (1855–1916). Die

Biografie, München 2009; Hiltrud Häntzschel: Frauenfriedensbewegung,

in: Historisches Lexikon Bayerns, URL:

<http://www.historisches-

lexikon-

bayerns.de/artikel/artikel_44997

> [Stand: 11.03.2011].

39 Eva Maria Volland: Antonie („Toni“) Pfülff – „… die Interessen der Frauen

zu vertreten“, in: Hartmut Mehringer (Hg.): Von der Klassenbewegung zur

Volkspartei. Wegmarken der bayerischen Sozialdemokratie1892–1992,

München u.a. 1992, S.187–191.

40 Marita Krauss: Rechte Frauen. Mitläuferinnen, Profiteurinnen, Täterinnen

in historischer Perspektive, in: dies. (Hg.): Sie waren dabei. Mitläuferinnen,

Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S.

7–22.

Doch vielen Männern und Frauen machte diese Ent-

wicklung Angst, die traditionelle Rollenbilder und Famili-

enkonstellationen zu verändern und den Pater familias zu

entthronen drohte. Politisch engagierten Frauen schlugen

vielfach Vorurteile und Abneigung entgegen – übrigens

traditionell auch innerhalb der Sozialdemokratie-, Dop-

pelverdienerkampagnen desavouierten die Frauenarbeit

und die völlige rechtliche Gleichstellung ließ weiter auf

sich warten. In den rückwärtsgewandten nationalsozialis-

tischen Familien- und Ehebildern schlugen sich die Vor-

stellungen einer großen Mehrheit der Männer und auch

eines Teiles der Frauen nieder. In den Werken des erfolg-

reichsten deutschen Schriftstellers, Ludwig Ganghofer,

der 1920, also lange vor der NS-Zeit, starb, lassen sich

eben diese Frauenbilder wiederfinden.

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In seinen Lebens-

erinnerungen entwickelt er sogar Konzepte des Verhält-

nisses zwischen Mann und Frau, die denen der späteren

NS-Bewegung in vielem sehr ähnlich sind.

Noch vehementer traf es den jüdischen Bevölkerungs-

teil, der in Bayern 1910 rund 46.000 Personen, 1933 noch

35.000 Personen umfasste.

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Ihre Teilhabe am Weltkrieg

– allein der deutsche jüdische Frontkämpferbund hatte

50.000 Mitglieder, 12.000 Juden waren im Krieg gefallen

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– und damit an der deutschen nationalen Sache konnte

nicht verhindern, dass ihre völlige Gleichstellung und die

Beteiligung an der Revolution von 1918 wüste antisemi-

tische Reaktionen auslöste. Der Bildungsbürger Thomas

Mann, selbst verheiratet mit einer Tochter der jüdischen

Familie Pringsheim, kommentierte die neue Regierung

im Tagebuch:

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„München, 8.11.1918 […] München, wie

Bayern, regiert von jüdischen Literaten. Wie lange wird es

sich das gefallen lassen? […] Die Diktatur ist komplett. Und

wer darf sie ausüben… Bei uns ist Mitregent ein schmieri-

ger Literaturschieber wie [Wilhelm] Herzog, der sich durch

Jahre von einer Kino-Diva aushalten ließ, ein Geldmacher

und Geschäftsmann im Geist […] Das ist Revolution! Es

handelt sich so gut wie ausschließlich um Juden.“ Wie in

41 Marita Krauss: Frauen und Männer bei Ludwig Ganghofer. Geschlech-

terbeziehungen und Körperlichkeit in der „Staatsutopie“ und in „Schloß

Hubertus“, in: Astrid Pellengahr/Jürgen Kraus (Hg.): Kehrseite eines Kli-

schees. Der Schriftsteller Ludwig Ganghofer, Thalhofen 2005, S. 50–65.

42 Peter Fassl: Juden in Bayern. Von den Anfängen bis zur NS-Zeit, in: Hans-

Jürgen Müller/Ursula Rudnick (Hg.): Christen und Juden, Juden und Chris-

ten. Katalog zur Wanderausstellung in Bayern, Hannover 2002, S. 12–21,

hier S. 18.

43 Michael Berger/Gideon Roemer-Hillebrecht: Juden und Militär in

Deutschland: Zwischen Integration, Assimilation, Ausgrenzung und Ver-

nichtung, Baden-Baden 2009.

44 Thomas Mann: Tagebücher 1918–1921, Frankfurt am Main 1979, S. 63.