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Die Ausstellung „‚Rassendiagnose: Zigeuner‘. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf umAnerkennung“
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
richteten viele deutsche Kommunen selbständig Zwangs-
lager für Sinti und Roma ein, die später nahtlos entweder
als Zwangsarbeiterlager dienten oder als Sammelorte für
die Deportationen in das ab 1939 besetzte Polen. Den
Stufen der Entrechtung wie Arbeitsverbot, Ausschluss
von der Schule oder Einweisung in die neu eingerichteten
Konzentrationslager versuchten einige Sinti und Roma
bemerkenswerter Weise dadurch zu entgehen, dass sie sich
zur Wehrmacht meldeten. Seit Februar 1941 gingen aller-
dings die militärischen Dienststellen systematisch daran,
die Betreffenden aus der Wehrmacht auszuschließen und
in Lager einzuweisen. So erging es etwa dem Münchner
Sinto Alfred Lessing, der sich der drohenden Verhaftung
in seiner Wehrmachtseinheit nur dadurch entziehen
konnte, dass er zur Roten Armee überlief.
Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurde die Planung
und Durchführung der Verfolgungen im neu gegründe-
ten Reichssicherheitshauptamt zentral zusammengefasst.
Es war Heinrich Himmler, dem „Chef der deutschen
Polizei“ und zugleich „Reichsführer SS“ unterstellt. In
einem Zug während der Besetzung Polens wurde noch
im September 1939 die Deportation der deutschen (und
österreichischen) Sinti und Roma in das besetzte Gebiet
beschlossen. In einem ersten Schritt wurde den Mitglie-
dern der Minderheit verboten, ihren Wohnort zu verlas-
sen, ein halbes Jahr später begannen die Deportationen.
Diese Praxis wurde dann Zug um Zug auf alle besetzten
Länder und Gebiete ausgeweitet, und sie wurde in der
Regel mit Unterstützung der einheimischen Behörden
durchgeführt. Ziel waren zunächst bestimmte eingezäunte
Stadtbezirke, Ghettos genannt. So wurden die Sinti und
Roma aus Österreich z.B. in einen besonderen Abschnitt
des großen Ghettos von Litzmannstadt / Lodz gebracht.
Zum Teil gleichzeitig, zum Teil zeitversetzt gegenüber
der Räumung der jüdischen Ghettos wurden auch die
Sinti und Roma innerhalb Polens ein zweites Mal depor-
tiert. Das Ziel waren die deutschen Vernichtungslager in
Osteuropa. Für die Sinti und Roma erlangte aufgrund
eines Erlasses von Heinrich Himmler vom 16. Dezem-
ber 1942 Auschwitz-Birkenau besondere Bedeutung. Sie
teilten mit den Juden das Schicksal des Erschöpfungsto-
des durch Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen,
durch Krankheiten, für die es keinerlei Versorgung gab,
durch Erschießungen und schließlich in den Gaskam-
mern durch Vergiftung mit dem Giftgas Zyklon B. Von
den knapp 23.000 in diesem Lager inhaftierten Sinti und
Roma kamen mindestens 20.000 ums Leben. Lagerarzt in
diesem Bereich war seit Mai 1943 Josef Mengele. Für seine
im Verbund mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthro-
pologie in Berlin-Dahlem als Forschung deklarierten Men-
Demonstration des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma vor dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden gegen die Sondererfassung von Sinti und Roma durch die
Polizei, 28. Januar 1983
Foto: Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg