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Einsichten und Perspektiven 4 | 17
Den Bolschewiki spielte dann vor allem der sogenannte
Kornilov-Putsch in die Hände. Schon in der zarischen
Armee hatte Lawr G. Kornilov (1870-1918) als hoch-
rangiger Offizier gedient, um nach der Februarevolution
seine Karriere fortzusetzen. Als Militärchef von Petrograd
war er an der Niederschlagung des Aufstandsversuchs der
Bolschewiki beteiligt gewesen. Kerenskij, der im Juli L’vov
als Regierungschef abgelöst hatte und damit zum mäch-
tigsten Staatsmann in Russland aufgestiegen war, ernannte
Kornilov daraufhin zum Oberbefehlshaber der russischen
Armee. Fest entschlossen, den Krieg fortzusetzen, die mili-
tärische Disziplin wieder herzustellen und alle seine poli-
tischen Feinde rigoros zu bekämpfen, forderte Kornilov
von Kerenskij weitgehende
Vollmachten.
Kerenskij
ging dies jedoch zu weit. Er
setzte Kornilov ab, der seine
Befehlsgewalt jedoch nicht
aufgeben wollte und Ende
August deshalb einen dilet-
tantischen
Putschversuch
anzettelte, den die Roten
Garden schnell vereitelten.
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Im September startete
Kerenskij noch einmal
erfolglos einen Versuch, im
Rahmen einer „Demokrati-
schen Konferenz“ alle poli-
tischen Kräfte zur Zusam-
menarbeit zu bewegen.
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Bezeichnenderweise waren
es dann aber die Keren-
skijs Kooperationsangebot
demonstrativ ausschlagen-
den Bolschewiki, die am 24.
September die in Moskau
stattfindenden Wahlen zum
Stadtparlament gewannen.
Als Leo Trotzkij, der zuvor
auch offiziell den Bolsche-
wiki beigetreten war, einen
Tag später zum Vorsitzenden
des mächtigen Petrograder
Arbeiter- und Soldatenrats
gewählt wurde, bedeutete
dies nicht nur einen perso-
nellen, sondern einen pro-
grammatischen
Wechsel.
Die zweite Säule der Dop-
pelherrschaft war in die Hände der Bolschewiki geraten.
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Auch Lenin kehrte nun aus seinem finnischen Versteck
53 Rabinowitch (wie Anm. 52), S. 94-150; Pipes (wie Anm. 45), Bd. 2, S.
180-221; Figes (wie Anm. 23), S. 461-481; Peeling (wie Anm. 41), (https://
encyclopedia.1914-1918-online.net/article/kornilov_lavr_georgievich[Stand: 22.09.2017]); Jorgen L. Munch: The Kornilov Revolt. A Critical Ex-
amination of Sources and Research, Aarhus 1987.
54 Mandel (wie Anm. 44), S. 253-259. Zu Kerenskijs fortschreitenden Autori-
tätsverfall vgl. Figes Kolonitskii (wie Anm. 32), S. 89-96.
55 Ebd., S. 259-263 u. 287-309. Pipes (wie Anm. 45), Bd. 2, S. 223-261; Koe-
nen (wie Anm. 48), S. 749-753; Robert Service: Trotsky. A Biography, Lon-
don 2009, S. 180-188; Joshua Rubenstein: Leon Trotsky. A Revolutionary’s
Life, New Haven 2011, S. 93 ff.
Bolschewiki stürmten das Winterpalais, in dem sich die verbliebenen Mitglieder der Kerenski-Regierung aufhielten.
Foto: sz-photo
Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932 Teil 3