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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

in den Bereichen Landwirtschaft, Medizin, Transportwe-

sen. In Videos und großformatigen Bildern, auf Bildschir-

men und Leinwänden ist man hier von gut aussehenden

jungen Menschen umgeben, die sich an ihrem Leben

freuen. Das Zentrum, ein Werbeportal für die israelische

Wirtschaft, das auch als Treffpunkt für Jungunternehmer

und solche, die es werden wollen, fungiert, gehört zur

Organisation

„Taglit Birthright Israel“

, die im Jahr 2000

als Start-up-Projekt gegründet wurde. Die Macher hat-

ten damals die Idee, dass jeder jüdische Erwachsene zwi-

schen 18 und 26 Jahren das Recht dazu habe, einmal in

seinem Leben den jüdischen Staat zu besuchen. Das Pro-

jekt ermöglicht kostenlose Studienreisen als Geschenk an

junge Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt – eine halbe

Million Menschen haben bereits an dem Programm teil-

genommen. Einige bleiben ganz. In Tel Aviv trifft man auf

etliche junge Leute, die zum Beispiel in den Vereinigten

Staaten aufgewachsen sind und ihr Glück nun im Nahen

Osten suchen.

Was Israel sich mit Tel Aviv erschaffen hat, ist in der

Tat eine mittelgroße Sensation: Erst 1948 rief David Ben

Gurion hier den Staat Israel aus. Theodor Herzl hatte

es 1897 nach dem ersten zionistischen Kongress in der

Schweiz angekündigt: „[I]n Basel habe ich den Judenstaat

gegründet. Wenn ich das heute laut sage, würde mir ein

universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jah-

ren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder [sic!] einsehen.“

39

Herzl hatte sich um ein knappes Jahr verschätzt. Dass der

noch so junge Staat heute als Vorreiter in der Spitzentech-

nologie gilt, hätte sich auch der Gründervater nur schwer

vorstellen können. Im sogenannten „

Silicon Wadi

“ um Tel

Aviv schießen die Start-ups wie Pilze aus dem Boden und

dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass kein Land der

Welt mehr Geld pro Kopf in Forschung und Entwicklung

investiert als der kleine Staat am Mittelmeer.

Quantitativ betrachtet ist Israel eine moderne Dienstleis-

tungsgesellschaft, doch auch die anderen Wirtschaftssek-

toren können sich sehen lassen:

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Obwohl die natürlichen

Bedingungen für die israelische Wirtschaft eher ungünstig

sind – das Land verfügt über keine nennenswerten Roh-

stoffe, es herrscht akuter Wassermangel, die Bodenverhält-

nisse sind schlecht – verfügt Israel über ein international

konkurrenzfähiges Industriepotential, eine funktionierende

Infrastruktur und eine moderne Landwirtschaft.

Die „Eindringlinge“

Doch die ökonomische Entwicklung hat auch ihre

Schattenseiten: Während die Arbeitslosigkeit mit fünf

Prozent relativ gering ist,

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ist die Zahl der „

working poor

“,

also derer, die trotz einer Arbeitsstelle unter der Armuts-

grenze leben, erschreckend hoch. Insgesamt gilt mehr als

ein Fünftel der israelischen Bevölkerung als arm,

42

beson-

ders schwierig ist die Situation für den Nachwuchs des

Landes – nach einemUNICEF-Bericht wachsen 27,5 Pro-

zent der Kinder in Armut auf.

43

Dies betrifft insbesondere

die ultraorthodoxen Juden und die arabische Minderheit,

aber auch für säkulare Israelis hat sich die Situation in den

vergangenen Jahrzehnten zugespitzt. Bis zu einer halben

Million Menschen demonstrierten aus diesem Grund im

Sommer 2011, vor allem in Tel Aviv. Die exorbitanten

Lebenshaltungskosten in der Stadt, eine unzureichende

soziale Absicherung und ungerechte Löhne führten zu

den größten Sozialprotesten in der Geschichte des jungen

Staates – die Situation hat sich seither kaum geändert.

39 Zit. nach Brenner (wie Anm. 21), S. 45.

40 Hier und im Folgenden vgl. Sabine Hoffmann: Wirtschaft Israels in:

Dossier Israel, 28.03.2008,

http://www.bpb.de/internationales/asien/isra-

el/45097/wirtschaft [Stand: 20.09.2017].

41 Vgl. CIA World Factbook (wie Anm. 10).

42 Vgl. ebd.

43 Zum Vergleich: Für Deutschland stellte dieselbe Studie eine Kinderar-

mutsquote von 7,2 Prozent fest. Vgl. UNICEF Innocenti Report Card 13:

Fairness for Children. A League Table of Inequality in Child Well-Being in

Rich Countries, April 2016, S. 4,

https://www.unicef-irc.org/publications/

pdf/RC13_eng.pdf [Stand: 20.09.2017].

Ein Mitglied der Bewegung „Woman Wage Peace“ demonstriert in Tel Aviv

für eine politische Lösung des Konflikts.