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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

lungen, die auf gemeinsamem Eigentum und basisde-

mokratischen Strukturen basieren und bereits lange vor

der israelischen Staatsgründung von Juden in Palästina

gegründet wurden. Der Kibbuz Mizra hat es im Land zu

einiger Berühmtheit gebracht: Die Bewohnerinnen und

Bewohner produzieren Schweinefleisch, womit sie sich

in religiösen Kreisen keine Freunde machen. Ein Gesetz

von 1962 verbietet die Schweinezucht in jüdischen und

muslimischen Ortschaften; nur christliche sind davon

ausgenommen. 1990 wurde das Gesetz erweitert: Seither

ist auch der Verkauf von Schweinefleisch verboten, was

allerdings in den wenigsten Stadtteilen und Ortschaften

befolgt wird.

32

Die Leute aus Mizra leben sogar davon.

Hier, in einer Hochburg der Säkularen, sitzt ein Kibbuz-

nik – so werden die Mitglieder der Gemeinschaft genannt

– in seiner Wohnung, die ihm nicht gehört und die er

nie vererben wird, und erklärt das System: Alle Kibbuz-

niks verdienen für ihre Arbeit dasselbe; es macht kei-

nen Unterschied, welche Arbeit man verrichtet, nur der

Gemeinschaft soll sie dienen. Jeder bekommt so viel er

braucht, die Mahlzeiten werden in einem kantinenähn-

lichen Gebäude meist zusammen eingenommen. Um die

Alten und Kranken kümmert sich die ganze Gemeinschaft

– hier stirbt niemand allein.

Zwei Stunden schwärmt der charismatische Mann, des-

sen Augen immerzu lächeln, bei Kaffee und selbstgebacke-

nem Kuchen vom Kibbuz-System, einer einzigartigen Ein-

richtung, die vielen als real existierender Kommunismus auf

freiwilliger Basis gilt. Nach dem Interview, es war doch nur

eine letzte, kleine Frage, bedrücktes Schweigen auf Seiten

der deutschen Journalistin: Sein Alter wisse er nicht, sagt

der Mann. Er habe als Kind die Shoah überlebt, seine ganze

Familie sei in den nationalsozialistischen Konzentrationsla-

gern ums Leben gekommen. Alle Dokumente seien verlo-

ren gegangen, deshalb könne er die Frage leider nicht ein-

deutig beantworten. Er

lächelt entschuldigend.

Die jüdischen Siedler

Begegnungen dieser Art sind in Israel keine Seltenheit.

Das Wenigste ist so, wie es zunächst scheint und meist ist

ein zweiter, ein dritter Blick mehr als lohnend. Das gilt

auch für die jüdische Siedlerbewegung. Die Bilder der

Steine werfenden Kinder, die junge Palästinenser schika-

nieren, sind medial durchaus präsent. Und sie sind real.

Doch auch unter den Siedlern trifft man auf Menschen,

die mitnichten die Erwartung erfüllen, die man als euro-

päischer Besucher mitbringt. Einer von ihnen ist ein Mann

Anfang vierzig. Vor einer international zusammengewür-

felten Gruppe von Politik- und Geschichtsstudenten,

Dozenten und Vertretern des mittleren politischen Beam-

tenapparats, die eine Summer School zum Nahostkonflikt

absolviert, soll er Einblick in das Leben der Siedler geben.

Der Mann, der mit seiner Familie im Westjordanland

lebt, ist fröhlich und wirkt aufgeschlossen. Er beginnt, sei-

nen Wein anzupreisen, den er selbst herstellt. Er hat einige

Flaschen mitgebracht. Die Veranstaltung entwickelt sich

zu einem lebendigen Vortrag über israelische Winzer und

32 Vgl. Neuberger (wie Anm. 12).

Die sogenannte „Säule der Mutigen“