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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

Die Kritik des Lehrers macht vor kaum etwas Halt, er

selbst bezeichnet sich als „smarten Pazifisten“. Damit

meint er, dass er Kriege ablehnt, manche aber aus huma-

nitären Gründen notwendig sind. In Syrien beispielsweise

müsse man militärisch vorgehen.

Das Schweigen brechen

Was Hesh Rabinowitz im Kleinen tut, machen die

kritische israelische Tageszeitung

Ha’aretz

und Men-

schenrechtsorganisationen wie

Breaking the Silence

und

B’Tselem

im Großen: Während der Lehrer mit Delega-

tionen aus aller Welt spricht, die an der Grenzregion zu

Gaza interessiert sind, und dabei kein Blatt vor den Mund

nimmt, dringen die anderen mit ihrer Botschaft gezielt in

die Öffentlichkeit – und zwar insbesondere in die nicht-

israelische. Sie alle sind entschiedene Gegner der Besat-

zung und kommunizieren dies deutlich, was internatio-

nal enorme Beachtung findet. Aus diesem Grund sind sie

Teilen der israelischen Gesellschaft geradezu verhasst, sie

gelten ihnen als Nestbeschmutzer. Noch mehr Israelis sind

der Ansicht, dass die Kritik – und sei sie noch so berech-

tigt – besser innerhalb des Landes geäußert und nicht

nach außen kommuniziert werden sollte, da sie auf diese

Weise die israelischen Adressaten verlöre. Der hebräische

Diskurs über die Besatzung sei richtig und wichtig, ihn

auf Englisch ins Ausland zu transferieren, führe zu einer

Dämonisierung des jüdischen Staates vor den Augen der

Welt. 71 Prozent der jüdischen Israelis sind davon über-

zeugt, dass Menschenrechtsorganisationen wie

B’Tselem

dem Staat schaden.

34

Diese israelische Diskussion sollte vor dem Hinter-

grund des diplomatischen Eklats zumindest reflektiert

werden, den der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel

auslöste, als er ankündigte, sich während seines Staatsbe-

suchs auch mit Vertretern der Menschenrechtsorganisati-

onen

B’Tselem

und

Breaking the Silence

zu treffen – auch

wenn man davon überzeugt ist, dass es sich keineswegs

um antiisraelische Organisationen handele. Netanyahu

kündigte an, ein Treffen mit Gabriel platzen zu lassen –

der ließ es darauf ankommen und wird den israelischen

Premier nun ein anderes Mal treffen müssen.

Doch wer steckt hinter den Organisationen, die nun

in aller Munde sind?

Breaking the Silence

wurde vor 13

Jahren im Zuge der zweiten Intifada

35

von Wehrpflichti-

gen und Reservisten gegründet, die die israelische Besat-

34 Vgl. Israeli Democracy Index (wie Anm. 23), S. 10.

35 Vgl. Anm. 24.

zung beendet sehen wollen, entsprechend dem Namen,

das Schweigen brechen und die eigene Bevölkerung auf

Missstände in Gaza, Ostjerusalem und dem Westjordan-

land aufmerksam machen wollen. Die Organisation ver-

öffentlicht anonyme Berichte von Soldatinnen und Sol-

daten, die ihren Dienst in den palästinensischen Gebieten

leisten, und bietet Führungen durch das von Siedlern und

Palästinensern umkämpfte Hebron an.

Finanziert wird

Breaking the Silence

von privaten Spen-

dern und staatlichen ausländischen Stiftungen. Dasselbe gilt

für

B’Tselem

, der Menschenrechtsorganisation, die bereits

während der ersten Intifada

36

gegründet wurde und die

zuletzt den Fall Elor Azaria ins Rollen brachte. Namhafte

israelische Schriftsteller wie Amos Oz und David Gross-

man unterstützen die Arbeit der Aktivisten, die auch mit

Videos und Fotos von Palästinensern arbeiten. Der rechts-

gerichteten israelischen Regierung kann dies kaum gefallen.

Bereits vor einem Jahr brachte sie das sogenannte „Trans-

parenzgesetz“ durch die Knesset. Seither müssen israelische

Nichtregierungsorganisationen, die mehr als die Hälfte

ihres Geldes von ausländischen Regierungen erhalten, dies

entsprechend angeben – in den Veröffentlichungen genauso

wie persönlich: In der Knesset müssen sie spezielle Schilder

an der Kleidung tragen. Die damit hergestellte Transparenz

ist jedoch reichlich einseitig, da private Spenden im Gesetz

nicht erwähnt werden. Auch rechtsgerichtete Organisati-

onen in Israel finanzieren sich nicht selten über Geld aus

dem Ausland, allerdings aus privaten Kassen.

Auch die linksliberale

Ha’aretz

– die Tageszeitung, die

im Ausland vielleicht am stärksten aus der israelischen

Medienlandschaft wahrgenommen wird –, hat mit der

eigenen Gesellschaft zu kämpfen. Im jüdischen Staat wird

sie nämlich kaum gelesen und auch ihr gegenüber wird der

Vorwurf der Nestbeschmutzung erhoben. Dass sie darü-

ber hinaus auch mit palästinensischen Journalistinnen und

Journalisten zusammenarbeitet, wird nicht völlig grund-

los kritisch gesehen – wie sollten sich deren Berichte auch

redaktionell verifizieren lassen? Die

Ha’aretz

hatte mit Abeer

Ayyoub eine ganze Weile sogar eine Korrespondentin im

von der

Hamas

kontrollierten Gaza-Streifen,

37

in den kein

noch so kühner israelischer Journalist sich freiwillig begibt.

Die Start-up-Blase

Ein Kontrastprogramm zu den kritischen Stimmen Isra-

els liefert die Metropole Tel Aviv mit ihrer zur Schau gestell-

36 Vgl. ebd.

37 Vgl. dazu auch Milz (wie Anm. 3), S. 5 f.