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Die Gesundheitsberichte des Landgerichtsarztes Dr. Schleis von Löwenfeld (1772-1852)

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

stadt 1797.

13

Der bereits erwähnte, als einer der Haupt-

begründer der öffentlichen Gesundheitspflege geltende

Johann Peter Frank hatte 1779 die Forderung aufgestellt:

„Man lasse durch menschenfreundliche Ärzte die

Natur, Lage und Beschaffenheit des geringsten Dörfchens

ausforschen, dessen Krankheiten nebst Ursachen davon

mit einer pünktlichen Genauigkeit nachsuchen, das Ver-

hältnis der Geschlechter, der verschiedenen Menschen-

klassen, jenes der Geburten zu den Todesfällen berechnen

und so über jeden Distrikt eine Art von besonderer Geo-

graphie verfertigen.”

14

Schleis von Löwenfeld stellt seinemWerk über Schwan-

dorf das Motto

„nuda veritas“

(nackte Wahrheit) voran,

was bereits darauf hinwies, dass er vor kritischen Anmer-

kungen trotz der damals üblichen Zensur und zu erwar-

tender Anfeindungen vor allem von Seiten des Heilperso-

nals und der Handwerkerschaft nicht zurückschreckte.

Im Vorwort erklärt er, dass er als Arzt seinen Mit-

bürgern nützlich sein und ihnen die Schädlichkeit der

Verhältnisse zeigen wolle, denen sie täglich unterworfen

seien. Er habe bei jeder Gelegenheit versucht, medizini-

sche Aufklärung unter seinen Mitbürgern zu verbreiten.

Denn es herrsche hier „große, große Finsternis“, ja sogar

„düstre Nacht“.

Im Hauptteil beschreibt er in insgesamt sechs Kapi-

teln die Lage und Umgebung der Stadt Schwandorf mit

ihren knapp 1.300 Einwohnern, Straßen und Gebäude,

Lebens- und Nahrungsmittel, Lebensweise der Bevölke-

rung, klimatische Verhältnisse u.a. Auf diese Weise ent-

steht ein anschauliches Gesellschaftsbild der Zeit.

Beispielsweise präsentiert er Krankheits-, Geburts- und

Sterbestatistiken und stellt Zusammenhänge mit Umwelt-

bedingungen und Lebensart der Einwohner her. So trü-

gen die vielen Weiher mit ihren Ausdünstungen zur rheu-

matischen Konstitution der Bevölkerung bei, ebenso die

niedrigen, feuchten Wohnungen.

Ausführlich befasst sich Schleis v. Löwenfeld mit der

Lebensmittelversorgung. Rind- und v.a. Schweinefleisch

13 Als erste in deutscher Sprache gedruckte medizinische Topographie gilt:

Johann Adolphs Behrends: Der Einwohner in Frankfurt am Mayn in Ab-

sicht auf seine Fruchtbarkeit, Mortalität und Gesundheit geschildert,

Frankfurt am Mayn 1771, vgl.

http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/

dlf/6682/1/ [Stand: 21.09.2017]. Siehe hierzu und zu den Vorläufern der

Topographien/hygienischen Ortsbeschreibungen aus Baden: Alfons Fi-

scher: Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Band 2: Von den

Anfängen der hygienischen Ortsbeschreibungen bis zur Gründung des

Reichsgesundheitsamtes, Berlin 1933, ND Hildesheim 1965.

14 Zit. n. Eberhard Wormer: Die bayerischen Physikatsberichte aus medizin-

geschichtlicher Sicht, in: Peter Fassl/Rolf Kießling (Hg.): Volksleben im 19.

Jahrhundert, Augsburg 2003, S. 125-142.

seien von guter Qualität. Er kritisiert aber bei der Herstel-

lung von Bratwürsten die Vermengung mit altem, halb ver-

dorbenem Rindfleisch aus Gewinnsucht. Die Leberwürste

bestünden hauptsächlich aus Tierteilen, die sonst nicht zu

verkaufen seien. Hauptnahrungsmittel sei das Roggenbrot,

das von den Bewohnern meist selber gebacken werde. Das

Weizenbrot, das von den Bäckern stamme, sei selten von

guter Qualität. Es sei traurig, dass die Betrügereien, die

in den Mühlen vor sich gingen, durch die örtliche Polizei

nicht geahndet würden. Die häufig gegessenen Nudeln

und andere Mehlprodukte enthielten nämlich sehr häufig

„widersinnige Zusätze“. Daher müssten die Müller künf-

tig strenger kontrolliert werden. Schließlich treffe ja das

Los der schlecht produzierten Mehlprodukte vor allem die

ärmere Klasse, bei der fast alle epidemischen Krankheiten

den Anfang machten.

Nach Ausführungen zu Gemüseanbau, Gewürzen und

Obst widmet er sich den Getränken, da sich diese sehr auf

die Gesundheit der Einwohner auswirkten. Beim Wasser

unterscheidet er ausdrücklich zwischen Flusswasser und

Brunnenwasser. Fast jedes Haus besitze einen eigenen

Brunnen, wobei die Wasserqualität besser sei als die des

Flusswassers, das hauptsächlich zum Bierbrauen verwen-

det werde und oft stinkende Bestandteile enthalte. Das

Lieblingsgetränk der Bevölkerung sei das Bier, entweder

ein weißes Bier oder ein braunes Bier. Gebraut würden

Sommerbiere, die leicht berauschten und zu Kopfschmer-

zen führten, und Winterbiere, die Blähungen und Schwä-

che der Verdauungsorgane verursachten. Der Gerstensaft

werde aus Gewinnsucht oft mit Wasser verdünnt, weshalb

„echtes Bier“ nur selten ausgeschenkt werde. Branntwein

sei vor allem in der „arbeitsamen Klasse“ der Landbe-

völkerung verbreitet, er habe aber schon acht- bis zehn-

jährige Bauernkinder trinken gesehen. Wein werde eher

selten und hauptsächlich bei Familienfeierlichkeiten wie

Taufen oder Hochzeiten konsumiert. Kaffee sei dagegen

bei Arm und Reich beliebt.

Bei der Beschreibung der Lebensart der Schwandorfer

differenziert er zwischen der vermögenden und der ärme-

ren Klasse. Erstere könnten sich Fleischspeisen leisten,

während die ärmeren Bürger wie Taglöhner nur mit Was-

sersuppe, Kartoffeln und schlecht zubereiteten Mehlspei-

sen auskommen müssten.

Auch den Lebensstil der Menschen kommentiert der

Amtsarzt: Die meisten Ehen würden vor allem als „Kauf-

und Handelssache“ betrachtet. Hochzeiten erfolgten sel-

ten aus Neigung, sondern aus Habsucht. Ergebnis dessen

seien viele „häusliche Zerrüttungen und Uneinigkeiten“,

die stark auf die allgemeine Gesundheit wirkten. Auch