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„Ein Denkmal des Friedens und der Arbeitskraft des Deutschen Reiches“
Einsichten und Perspektiven 1 | 17
Am 27. März 1917 stimmte die Kammer der Reichsräte des
Bayerischen Landtags einer Regierungsvorlage zu, die von
den Abgeordneten schon am 22. Februar einstimmig ange-
nommen und geradezu enthusiastisch begrüßt worden war.
Mit ihr wurden die Mittel für die „Ausarbeitung eines aus-
führlichen Entwurfs für die Herstellung einer Großschif-
fahrtsstraße von Aschaffenburg bis zur Reichsgrenze unter-
halb Passau“ bereitgestellt, damit man sofort nach Ende des
Krieges mit dem Bau beginnen könne. Dieser Beschluss
stellte das Startsignal für ein Projekt dar, das König Ludwig
III. schon ein Viertel Jahrhundert früher angeregt hatte, das
aber bisher nicht vorangekommen war. Es liegt nahe, die
breite Unterstützung, die es nunmehr erfuhr, dem Krieg
zuzuschreiben, der die Donau als Nachschub- und Versor-
gungsweg stark aufgewertet hat. Bei näherer Betrachtung
zeigt sich jedoch, dass dieser Aspekt zwar wichtig, aber
keineswegs entscheidend war. Dieser breite Konsens war
vielmehr das Resultat eines Prozesses, bei dem wirtschaft-
liche, politische und militärische Motive zusammenwirk-
ten und der schon lange vor dem Krieg in Gang gesetzt
worden war. Diese Wasserstraße war ein genuin bayerisches
Projekt, und dass es gelang, es während des Krieges so auf
denWeg zu bringen, dass es danach nicht mehr aufzuhalten
war, wurde in Bayern als großer politischer Erfolg gewertet.
Einen gewichtigen Anteil daran hatte Heinrich Held, Bay-
erns Ministerpräsident der Jahre 1924 bis 1933, der deshalb
auch zu Recht als „Vorkämpfer für eine neuzeitliche Rhein-
Main-Donau-Schiffahrtsverbindung“ gewürdigt wurde.
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Als man den Rhein-Main-Donau-Kanal 75 Jahre spä-
ter in Betrieb nahm – die feierliche Eröffnung fand am
25. September 1992 statt – war jedoch nicht nur Helds
Anteil an diesem „Jahrhundertwerk“ in Vergessenheit gera-
ten. Auch dieses selbst hatte stark an Strahlkraft verloren,
und noch heute, hundert Jahre nach der Entscheidung für
ihren Bau, gehen die Meinungen darüber, ob der Nutzen
dieser Wasserstraße in einem ausgewogenen Verhältnis zu
ihrem Preis steht, weit auseinander. Nicht zuletzt deshalb,
weil dieser Preis auch in massiven Eingriffen in Natur und
Umwelt bestand, deren Folgen bis heute nicht abzuschät-
zen sind. Zwar wird der Rhein-Main-Donaukanal heute
kaum noch als das „dümmste Projekt seit dem Turmbau
zu Babel“ verunglimpft, wie es 1981 der damalige Ver-
kehrsminister Volker Hauff tat, aber es findet sich auch
kaum noch jemand, der ihn als „Jahrhundertwerk“ feiert.
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1 So die Widmung in: (Josef) Held/(Heinrich) Brüschwien: Rhein-Main-Donau.
Die Geschichte einer Wasserstraße, Regensburg 1929.
2 S. das Vorwort Volker Hauffs zu Hildebrandt/Polt/Schneeberger/Müller:
Unser Rhein-Main-Donau-Kanal, München 1983.
Die Frage, ob die Investitionen in diese Wasserstraße sinn-
voll waren, lässt sich nur beantworten, wenn man weiß,
unter welchen Umständen und mit welchen Intentionen
sie beschlossen wurden. Wie so oft ist also ein Blick auf
die Geschichte notwendig, um die Gegenwart – in diesem
Fall die Existenz dieses Bauwerks – verstehen zu können.
Festgefahren: Das Projekt „Großschiffahrtsstraße“
vor dem Ersten Weltkrieg
Bayern hatte bereits schlechte Erfahrungen mit einem
Kanal gemacht: Der Ludwig-Main-Donau-Kanal wurde
wenige Jahre nach seiner Fertigstellung 1845/46 wegen
seiner geringen Leistungsfähigkeit vom Transitverkehr
links liegen gelassen. Damit unterblieb auch der geplante
Ausbau von Main und Donau, und so verfügte das rechts-
rheinische Bayern über keinen leistungsfähigen Zugang
zu den internationalen Wasserstraßen. Das wurde von der
bayerischen Wirtschaft, je weiter die Industrialisierung
voranschritt, als ein umso größeres Defizit empfunden,
denn das verteuerte die Zufuhr von Rohstoffen und den
Export. 1891 plädierte daher Prinz Ludwig, der spätere
Heinrich Held (1868–1938), Journalist und Verleger, war von 1924 bis 1933
bayerischer Ministerpräsident.
Foto: SZ Photo/Scherl