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Auschwitz überlebt – und dann?
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
achten einholen, sie lässt sich untersuchen, mehrmals
muss sie ihre Krankheitssymptome schildern.
„Patientin leidet unter einer schweren Trigeminusneu-
ralgie, die durch keinerlei Behandlung beseitigt werden
kann und auf die Haft im KZ Lager zurück zu führen
ist“, schreibt die Münchner Fachärztin für Hals-, Nasen-
Ohrenkrankheiten im Jahr 1962. Nicht jeder Arzt inter-
essiert sich für ihre Lebensgeschichte. Die Fachärztin der
inneren Medizin untersuchte ihren Körper aufs Genau-
este: Kopf, Hals, Thorax, Abdomen, Extremitäten, Wir-
belsäule. Sie kommt zum Schluss: „Internerseits ist ein
verfolgungsbedingtes Leiden somit nicht zu objektivieren“
und verweist auf die noch ausstehende nervenärztliche
Untersuchung. Diese Fachärztin erkannte ihre gesund-
heitlichen Probleme als „verfolgungsbedingt“ an.
Der Bericht der Nervenärztin gibt auch die Erzählun-
gen Rosemaries über deren Lagerhaft wieder:
„Erkrankungen im Lager: Sie habe Keuchhusten,
Typhus und Fleckheber gehabt. Damals sei sie todkrank
gewesen. Auch sei sie den üblichen Misshandlungen aus-
gesetzt gewesen, habe ohne Decken auf dem Zement-
boden schlafen und jeden Morgen um 5 Uhr nahezu
unbekleidet antreten müssen. Die Mutter sei dann zum
Arbeiten abgeholt worden und die Kinder seien der Lager-
aufsicht überlassen gewesen.“
Emma Höllenreiner (2.v.l.) mit ihrem Ehemann, Cousin Hermann (Mitte),
sowie ihrem Bruder Manfred (rechts außen) ca. im Jahr 1960
Foto: Peter Höllenreiner
Entschädigungsakten Emma Höllenreiner
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Emma war Mitte Juli 1929 in Molzdorf in Thüringen
auf die Welt gekommen. Sie war 14 Jahre alt, als sie ins
KZ Auschwitz deportiert wurde. Emma wurde im KZ
Ravensbrück zwangssterilisiert. Als 19-Jährige versuchte
Emma, die Sterilisierung rückgängig machen zu lassen
und unterzog sich zweimal erfolglos einer Operation.
Der operierende Arzt stieß auf „Verwachsungen an allen
Unterleibsorganen“ und „eingekapselte Eiterherde“.
Im amtsärztlichen Gutachten von 1953 gibt sie wieder:
„Vor meiner Einlieferung in das KZ war ich im Wesent-
lichen immer gesund. Ich habe nur Masern gehabt. Ich
befand mich vom März 1943 bis Mai 1945 im KZ Ausch-
witz und in anderen Lagern. Im Lager Ravensbrück wurde
ich 1944 von der Scheide her sterilisiert ohne Narkose. Ich
habe seitdem ständig Unterleibsbeschwerden, unregelmä-
ßige Periode, Verdauungsstörungen. Im Lager musste ich
schwere Arbeiten verrichten.“
Die Diagnose lautet: „Etwas bedürftiger Allgemein-
zustand und Zustand nach unsachgemäßer Sterilisation
(Elektrobehandlung ohne Narkose) mit mehrfachen
schweren Unterleibsbeschwerden (Entfernung des li. Eier-
stocks wegen Vereiterung, teilweise Resektion des re Eier-
stocks wegen Zyste, Entfernung des Blinddarms, Dünn-
darmnaht, schwere Verwachsungen.“
1965 verschlimmerte sich der Gesundheitszustand, es
müssen die Gebärmutter und ein Teil des Dünndarms
entfernt werden. Die ärztliche Diagnose im Gutachten
von 1965 lautet: „Zustand nach unsachgemäßer Sterilisa-
tion (Elektrobehandlung ohne Narkose)“.
Emma Höllenreiner war mit folgenden Angaben
in den Büchern der KZ geführt: „Staatsangehörigkeit
deutsch, Religion: römisch katholisch, Familienstand:
ledig, letzter Wohnort: München, Deisenhofener Str. 79.
Sie wurde am 15. März 1943 durch die Kriminalpolizei
München in das Konzentrationslager Auschwitz-Birke-
nau (Zigeunerlager) eingeliefert; überstellt am 3. August
1944 zum Konzentrationslager Ravensbrück. Kategorie:
Zig (= Zigeunerin)“
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12 BEG 46056
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13 Angaben des Internationalen Suchdienstes in Arolsen. BEG 46056.