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„Sozialkunde ist ein Nebenfach!“
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
dert sie den politischen Diskurs. Als Betreuerin zahlreicher
Seminare trägt sie zur Kommunikation zwischen Bevölke-
rung und Parlament bzw. Staatsregierung bei.
Besonders liegen ihr Fragen der Inklusion und der Integra-
tion amHerzen: Sie möchte nach besten Kräften helfen, dass
Gerechtigkeit und Solidarität auch bei denen, die benachtei-
ligt sind bzw. Schutz und Zuflucht suchen, Realität wird.
In allen ihren Aktivitäten aber muss ihr Hauptanliegen
mitschwingen: Die Verankerung demokratischer Werte
in einer Gesellschaft, die deren als einigendes Band, als
Voraussetzung, als notwendige Bedingung für ihr „Funk-
tionieren“ als freie, friedliche, gerechte und solidarische
Gemeinschaft von unterschiedlichsten Gliedern bedarf.
Wie überaus wichtig, ja unverzichtbar das ist, davon legt
der aktuelle Flüchtlingsansturm ebenso nachdrückliches
Zeugnis ab wie der erneut virulent gewordene Kampf
gegen den Terror.
Vielleicht liegt in diesem Hauptanliegen sogar –
cum
modestia conveniente
– eine Antwort auf die immer wieder
gestellte Frage nach Deutschlands Stellung in der Welt:
Ja, Deutschland sollte einen Führungsanspruch erheben.
Nicht den wirtschaftlichen meine ich hier, schon gar nicht
einen militärischen, sondern einen, der sich auf seine Ver-
fassung gründet. Eine Verfassung, die heute wie kaum eine
zweite die Verwirklichung der Ideale der Aufklärung, der
Französischen Revolution, der liberalen und der Arbeiter-
bewegung garantiert: Ein hohes Maß an Freiheit, Gerech-
tigkeit und Solidarität. Eine Verfassung, geboren aus den
Trümmern des Faschismus, gefestigt durch Niederlagen
und Triumphe, gereift von der erst missmutig akzeptier-
ten, dann spöttelnd geringeschätzten („FDGO“) Notlö-
sung zum Gegenstand eines Patriotismus ohne nationale
Engstirnigkeit und ohne chauvinistische Ambitionen.
Diese Verfassung ist in
der Tat „vorbildlich“ (was
nicht heißt, dass sie nicht
noch verbesserungsfähig
wäre, beileibe nicht). Sie
macht die Wertetrias von
Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität zum einigenden
Band um alle weltanschau-
lichen, religiösen und kul-
turellen Unterschiede, ohne
diese in ihrer friedlichen
Entfaltung zu behindern.
Wenn wir diesen Füh-
rungsanspruch und mit
ihm die Wertetrias von
Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität bewahren wol-
len, müssen wir immer
wieder kämpfen für die
Demokratie und uns ihrer
Bedrohung durch religiöse
Intoleranz, durch Radika-
lismus, durch Nationalismus und Europafeindlichkeit mit
aller Kraft widersetzen: durch werteorientierte politische
Bildung an den Schulen, durch Nutzung unserer staats-
bürgerlichen Rechte (die wir als Pflichten verstehen soll-
ten), durch gesellschaftliches Engagement.
Denn die anonyme Sentenz „Wer in der Demokratie
schläft, wacht in der Tyrannei auf“ hat von ihrer Brisanz
nichts verloren.
Demalten Lehrer aus den achtziger Jahrenwill ich deshalb
noch einmal energisch widersprechen: Nein, ein Nebenfach
ist die „Sozialkunde“ nicht, ganz gleich, ob man sie so oder
Staatsbürgerkunde oder Politiklehre oder demokratische
Ethik oder wie auch immer nennt. Sie ist ganz entschie-
den ein Haupt- und Kernfach, nicht nur in der Schule.
Und damit sie es bleibt, wird die Bayerische Landeszen-
trale für politische Bildungsarbeit weiter auf überparteili-
cher Grundlage das Gedankengut der freiheitlich-demo-
kratischen Staatsordnung fördern und festigen – ich hoffe,
noch für weit länger als für die nächsten sechzig Jahre.
Karikatur: Gerhard Mester