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„Sie hatten die Schnauze voll von diesem toten, öden Land …“

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Urteil – zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, abzuleisten im

Uranbergbau der Sowjets. Meinem Bruder und mir wurde

im Kinderheim eine richtige Gehirnwäsche verpasst. Mei-

ne Mutter galt als mitschuldig, musste ihre Qualifizierung

zur Ingenieurin unterbrechen und wurde in ihrem Betrieb

ans Fließband versetzt. Nach einem Jahr durften wir nach

Hause; allerdings hat mein Bruder ab diesem Jahr nicht

mehr „funktioniert“. Er hatte in der DDR nichts zu la-

chen und ist am Ende auch umgekommen. Ich war zu-

nächst verängstigt durch die Heimmethoden (man musste

zum Beispiel mit dem Gesicht zur Wand stehen und sollte

darüber nachdenken, warum die Eltern „Feinde des Frie-

dens“ seien). Darum habe ich in der Schule erst immer

versucht, besonders gut mitzumachen. Als ich elf war,

habe ich mich, als mein Vater in Dresden Deutschland-

funk (den „Feindsender der Bonner Ultras“) hörte, neben

ihn gesetzt und ihn angefleht: „Bitte Vati, mach das aus,

du darfst das nicht hören!“ Ich habe auch brav die Pionier-

zeitung „Die Trommel“ gelesen. Später mussten wir als Ju-

gendliche die „Junge Welt“ lesen, die es ja heute noch gibt;

die haben wir aber alle heimlich in die Ecke geschmissen.

Landeszentrale:

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen

muss Sie die zum Teil auch heute noch aktuelle Ostalgie

richtig ärgern …

Klier:

Sie wird vor allem von denen betrieben, die die

DDR-Diktatur zu verantworten hatten. Leider wurde im

Prozess der Wiedervereinigung einiges verschlafen. Der

journalistische Geist der DDR hat ebenso überlebt wie die

meisten strammen DDR-Lehrer. Und diese – wie einige

andere – bedienen zumTeil bis heute die Opferthesen. Das

Ausplündern der DDR durch die eigenen Leute kommt

dort gar nicht mehr vor. Das sind semantische Verschiebun-

gen, wo ich offen gesagt allerdings auch manchmal aufgebe.

Die Stasi hat in Kooperation mit dem sowjetischen Ge-

heimdienst 1989 die Bürgerrechtsbewegung benutzt, um

sich auf die Ablösung der alten Kader wie Honecker, Ha-

ger und Mielke vorzubereiten und neue Köpfe zu platzie-

ren. Idealtypisch dafür war die Demonstration am Alexan-

derplatz in Berlin am 4. November 1989, wo z.B. Christa

Wolf, Markus Wolf und viele andere auftraten, um die

DDR zu retten. Das hat am Ende nicht geklappt.

Landeszentrale:

Was auffällt, ist die Dominanz der Opfer-

erzählung, die nach dem Ende der DDR zum Beispiel von

Schriftstellern stark bedient wurde. Was wird Ihrer Mei-

nung nach davon übrigbleiben? Wie sehen Sie den unter-

schiedlichen Blick der Generationen auf die DDR und das

geteilte Deutschland?

Klier:

Ich bin leider nicht ganz so optimistisch, was die

Verarbeitung dieses Themas durch künftige Generatio-

nen angeht. Die beste Weise, die Geschichte zu vermit-

teln, sind meiner Meinung nach Besuche in Gedenkstät-

ten, wie z.B. Hohenschönhausen, weil man Jugendliche

dort emotional ansprechen kann. Ich glaube, dass es auch

hauptsächlich davon abhängt, wie engagiert die Lehrer

sind. Ich arbeite oft als Zeitzeugin mit Schülern – übri-

gens auch in Bayern – und habe viele sehr gute Erfah-

rungen mit engagierten Lehrern gemacht. Sie sagen mir,

wenn sie nur Zahlen und Fakten bringen, erreiche das die

Schüler fast gar nicht, weil sie gar nicht wissen, was eine

Diktatur ist. An Projekttagen zur DDR-Geschichte erzäh-

le ich den Jugendlichen, wie wir in ihrem Alter gedrillt

wurden. Das funktioniert sehr gut. Ich bin seit Jahren

auch in Schulen in Bayern immer wieder angetan, welche

positive Atmosphäre dort herrscht. Es ergeben sich wirklich

interessante Gespräche. Die Schüler sind wach, offen und

meist gut vorbereitet. Das will ich mal als Botschaft nach

Bayern senden [lacht], gegen das an vielen Orten verbreitete

Bayern-Bashing.

Ich habe in der späten DDR eine geheime Jugendbe-

fragung gemacht und fand heraus: Die meisten wollten

nur noch raus. Sie hatten die Schnauze voll von diesem

toten, öden Land. In den 80er Jahren haben aber nicht

mehr dieselben drastischen Strafen wie in den 60er Jah-

ren gedroht – so wie mein Bruder damals vier Jahre Knast

wegen des Besitzes von Stones- und Beatlestexten bekam.

Für das Gros der späteren Jugend wurden in den 80er Jah-

ren sogar Discos eingerichtet, wo auch Westtitel gespielt

werden durften.

Auftritt am Berliner Alexanderplatz, 2009

Foto: Archiv Klier