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„Sie hatten die Schnauze voll von diesem toten, öden Land …“
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
Landeszentrale:
Musik als Opium für das Volk …
Klier:
Ja, damit wollte man sie stillkriegen. Die Schikanen
wurden bisschen gedrosselt. Es gab definitiv mehrere Pha-
sen im Umgang mit der Jugend.
Landeszentrale:
Hatten die DDR-Bürger Angst, der Kalte
Krieg könnte sich in einen heißen Krieg verwandeln?
Klier:
Ich muss sagen, diese Angst hatte ich persönlich nie.
Außerdem stimmte für uns diese Konstellation nicht; aus un-
serer Sicht führten die Herrscher der DDR den Kalten Krieg
gegen die eigene eingeschlossene Bevölkerung. Wir wären
gerne von unseren vermeintlichen Gegnern befreit worden.
Landeszentrale:
Was halten Sie von der Apostrophierung
des „Neuen Kalten Krieges“ heute?
Klier:
Ich warne vor solchen Worten ohne inhaltliche
Deckung, die heutige Situation ist mit der damaligen
schlecht vergleichbar. Ich habe 1993 in Sibirien gedreht,
den Film „Verschleppt ans Ende der Welt“ über nach
Russland deportierte deutsche Frauen. Überall gab es
dort – zwei Jahre nach dem Ende der Sowjetunion – noch
die alten stalinistischen Denkmäler, z.B. für Dserschinski,
den Gründer der Tscheka, des russischen Geheimdiens-
tes, und ersten sozialistischen Massenmörder unter Lenin.
Das wäre so, als hätten in den 50er Jahren noch Hitlerbil-
der in Deutschland an den Wänden gehangen. Die Russen
hatten immerhin 70 Jahre Diktatur hinter sich; demokra-
tische Strukturen hatten danach keine wirkliche Chance.
Landeszentrale:
Wie hat sich das Verhältnis der Wegge-
fährten aus der Bürgerrechtsbewegung entwickelt?
Klier:
Erstaunlich harmonisch. Egal, wer wo gelandet ist,
aber mit einigen wenigen Ausnahmen sind wir ziemlich
befreundet. Der Kreis der Engagierten bestand zunächst
aus ungefähr 100 Leuten; viele kamen über die Jahre hin-
zu. Wir haben die Zeiten gemeinsam erlebt und das ver-
bindet uns bis heute; es gibt keine üblen Gestalten wie
etwa bei der RAF.
Landeszentrale:
Wie nehmen Sie die fremdenfeindlichen
Demonstrationen von Pegida wahr?
Klier:
Als ganz schrecklich. Ich appelliere dringend, mehr
Gegeninitiativen auf die Beine zu bringen. Dresden hat
innerhalb kürzester Zeit seinen Ruf verloren, das tut weh.
Internationale Studenten ziehen inzwischen ihre Bewer-
bungen zurück. Eine indische Wissenschaftlerin aus Dres-
den hat erzählt, dass sie besondere Ausweise bekommen
haben, die ihnen im Fall eines fremdenfeindlichen Angrif-
fes helfen sollen.
Für mich ist das besonders schlimm. Ich komme aus
Dresden, das eigentlich eine sehr schöne Stadt mit sympa-
thischenMenschen ist. Eine Gegenbewegung für Offenheit
und Toleranz müsste stärker sichtbar werden. Es gibt aber
auch positive Beispiele: An der Semperoper hängt jeden
Montag ein Plakat: „Die Oper ist keine Kulisse für Frem-
denfeindlichkeit“. Noch ein Vorschlag: Die TU Dresden
hat etwa 37.000 Studenten. Wenn auch nur ein Teil von
ihnen eine gute Idee entwickelt, das Los der Flüchtlinge zu
erleichtern, so wie das gerade die Studenten in Saarbrücken
und Marburg praktizieren – würde in Dresden frei nach
Gauck „das helle Deutschland“ dominieren.
Landeszentrale:
Statistiken zeigen, dass ungefähr 17 Prozent
der Gesamtbevölkerung in Ostdeutschland leben, aber 47
Prozent der rassistisch motivierten Gewalttaten dort verübt
werden. Wie erklären Sie sich das?
Klier:
Ich hebe die Hände und verzweifle. Seit 25 Jahren
beschreibe und erkläre ich dieses Phänomen wie ein Ru-
fer in der Wüste: Achtung, hier besteht ein hohes Maß an
Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit! Keiner hörte
hin. Im Westen gibt es auch fremdenfeindliche Übergriffe,
Theaterplakat von Hubert Riedel, 1984
Foto: Archiv Klier