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„Sie hatten die Schnauze voll von diesem toten, öden Land …“

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Landeszentrale:

Im Berliner Abgeordnetenhaus war im Au-

gust 2015 Ihre Ausstellung „Verordnete Freundschaft“ zu

sehen, in der es um die Besatzung der DDR durch die Sowjet-

union (1949–1989) geht. Was sind die Hauptakzente dieser

Ausstellung?

Klier:

Das Wesentliche war für mich zu zeigen, dass die

DDR als sowjetische Besatzungszone nicht mit den Besat-

zungszonen der Westallierten vergleichbar war. Die DDR

konnte sich nicht frei entwickeln, es gab keine freien Wah-

len. Die entscheidenden Ämter wurden von Moskau be-

setzt, das ganze politische Leben von dort aus gesteuert.

Viele DDR-Bürger hatten eine Art Angstblockade, die

sich erst nach Stalins Tod im März 1953 etwas gelöst hat.

Es ist kein Zufall, dass es drei Monate später, am 17. Juni

1953, in der DDR zu einem Volksaufstand kam und die

Leute sich erstmals getraut haben, auf die Straße zu gehen.

Rund eine Million Menschen.

Landeszentrale:

Die DDR-Propaganda hat sich beeilt, den

Aufstand als Putsch der westlichen Faschisten hinzustellen …

Klier:

Das haben sie ja nun immer. An allem, was in der

DDR nicht lief, waren die Faschisten im Westen schuld.

Jeder wusste, dass das nicht stimmte. Wie schlimm die-

ses Lügengebäude war, sieht man zum Beispiel an dem

Fall der Erna Dorn, die während des Aufstandes in Halle

freigekommen war, dann aber gleich wieder verhaftet und

wenige Wochen später, am 1. Oktober 1953, hingerich-

tet wurde. In unseren Schulbüchern wurde sie als „KZ-

Kommandeuse“ hingestellt, in Wirklichkeit war sie eine

Kleinkriminelle; man brauchte unbedingt einen Nazi,

um den Aufstand als faschistischen Putsch darzustellen.

Was damals überraschend war, dass die Sowjetunion den

Aufstand nicht umgehend – wie zu Lebzeiten Stalins –

niederkartätscht hat, sondern zunächst zögerlich vorging.

Die DDR-Regierung hatte sich bereits nach Karlshorst

geflüchtet, um nach Moskau ausgeflogen zu werden. Aber

die Sowjets waren damals nicht bereit, ihr Besatzungs-

gebiet DDR aufzugeben.

Landeszentrale:

Haben sich nach dem „verordneten“ Beginn

nicht doch über die Jahre auch echte Beziehungen zwischen

Deutschen und Sowjets aufgebaut?

Klier:

Diktaturen funktionieren nicht über Jahrzehnte

statisch. Mit Stalins Tod hatte eine Annäherung einge-

setzt, die offiziell überhaupt nicht gewünscht war, sondern

unterbunden wurde. Nach und nach gewöhnte man sich

aneinander. Irgendwann nahm unter den DDR-Bürgern

auch das Mitleid mit den sowjetischen Soldaten zu. Es

waren stets eine halbe Million Besatzungssoldaten in der

DDR, so dass jeder irgendwann mal in Berührung mit ih-

nen kam. Berüchtigt hingegen waren die von sowjetischen

Soldaten verursachten Unfälle, meist unter Alkoholein-

fluss. Sie durften von DDR-Gerichten nicht verfolgt wer-

den.

Landeszentrale:

Wie sah es mit der Sprache und Reisen aus?

Klier:

Alle haben in der Schule Russisch gelernt, weswe-

gen es zum Beispiel Angela Merkel auch heute noch gut

spricht. Russisch war für ganz Osteuropa Pflichtsprache

ab dem fünften Schuljahr. Reisen konnte man in die So-

wjetunion aber nur in Ausnahmefällen, die vom Apparat,

also zum Beispiel von der FDJ („Freien Deutschen Ju-

gend“), dem staatlichen Jugendverband in der DDR, ge-

steuert wurden, z.B. die Aktion „Trasse der Freundschaft“.

In Urlaub durfte man nicht in die SU fahren, die zivilen

Russen durften auch nicht in die DDR fahren. Sie sollten

nicht sehen können, dass das allgemeine Lebensniveau in

der DDR besser war als für viele Sowjetbürger – die ja

eigentlich die Sieger des Krieges waren.

Landeszentrale:

Wie hat es sich dann angefühlt, dass die

„verordneten Freunde“ viel fremder sind als die „Feinde“

im Westen?

Klier:

Ein Großteil der DDR-Bürger hat über das West-

fernsehen und -radio viel mitgekriegt, die Aufmerksam-

keit der meisten war immer Richtung Westen gewandt,

das musste in der frühen DDR heimlich passieren. Oft

haben Eltern in Gegenwart ihrer Kinder nicht über Poli-

Freya Klier

wurde 1950 in Dresden geboren. Nach dem

Abitur 1968 arbeitete sie als Postangestellte, Kellnerin,

Disponentin im Dresdner Puppenspieltheater, studierte

1970 bis 1975 Schauspiel an der Theaterhochschule

Leipzig und im Staatstheater Dresden, von 1978–1982

Regie am Institut für Schauspielregie Berlin. 1980 be-

gründete sie die DDR-Friedensbewegung mit und arbei-

tete an unterschiedlichen Theatern und Projekten als

Regisseurin. 1985 erhielt sie Arbeitsverbot, trat aber ab

1985 mit Stephan Krawczyk in evangelischen Kirchen

auf. 1988 wurde sie verhaftet und gegen ihren Willen

ausgebürgert. Freya Klier arbeitet heute als Publizistin

und Regisseurin und führt Projekttage an Schulen über

die DDR-Geschichte durch.

www.freya-klier.de