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„Sozialkunde ist ein Nebenfach!“
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
hungsziels, indem also gleichsam die Artikel 1–20 des
Grundgesetzes bei der Betrachtung und Bewertung der
Fachlichkeit eine wichtige Rolle spielen, scheint mir auch
hinreichend begründet zu sein, warum die kleinlichen For-
derungen nach Gleichsetzung mit anderen übergeordneten
Bildungszielen (aus den Bereichen Ökologie, Gesundheit,
Ernährung, Wirtschaft zum Beispiel) sich erübrigen, denn
sie alle lassen sich subsumieren und obendrein ethisch
definieren im Rahmen der politischen Bildung.
In einer Zeit, in der einerseits mehr und mehr Religi-
onen bzw. auch Spielarten von Religionen ihren Platz im
Schulunterricht finden wollen und andererseits auch eine
fortschreitende Säkularisierung zu verzeichnen ist, gewinnt
eine werteorientierte politische Bildung und Erziehung
eine zusätzliche Bedeutung, weil sie den einzigen her-
stellbaren und damit unbedingt verpflichtenden Grund-
konsens herbeizuführen in der Lage ist: Auch hier liefern
die Artikel 1–20 des Grundgesetzes die Voraussetzungen.
Provokativ ausgedrückt: Zur Erzielung eines Grundkon-
senses in unserer Gesellschaft ist der Religionsunterricht
eher verzichtbar als die Erziehung zum Staatsbürger im
Sinn einer werteorientierten politischen Bildung.
Die demokratische, multikulturelle und multireligiöse
Gesellschaft des 21. Jahrhunderts braucht den Wertekon-
sens als gemeinschaftliches Identifikationsangebot, sonst
kann sie nicht bestehen und nicht gedeihen. Klar und
unumstößlich muss deshalb sein: Die Rechtsgrundsätze
der Verfassung brechen jegliche religiöse Bestimmung und
stehen über allen religiösen Vorschriften; wer dem zuwi-
derhandelt, begeht eine Straftat.
Damit der demokratische und soziale Rechtsstaat als
urteils- und handlungsweisendes Element über den Fächer-
unterricht hinaus Realitätsbezug und damit Überzeugungs-
kraft entfalten kann, bedarf es jedoch eines Angebots, das
die Schule im Bewusstsein der Schüler/innen als demokra-
tischen Ort etabliert, d.h. einerseits als eine Institution, an
der man demokratisches Handeln erproben und erlernen
kann, andererseits als einen Lebensraum, in dem einem die
Übernahme von Verantwortung, die Akzeptanz des ande-
ren, die Unterstützung des Benachteiligten und der Einsatz
für die Gemeinschaft zur Selbstverständlichkeit wird.
Dazu gehört eine Schulkultur, die nicht von einem
Tag zum anderen zu etablieren ist; ist sie jedoch erst einmal
geschaffen, wird sie zur Verlebendigung des Schulalltags und
zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls erheblich beitragen.
Die Möglichkeiten, die sich, differenziert nach Altersstufe
und Reflexionsfähigkeit, zur Verwirklichung dieser demo-
kratischen Schulkultur anbieten, wären Gegenstand einer
eigenen Didaktik; sie alle setzen freilich die Bereitschaft vor-
aus, sich über den Unterricht hinaus zu engagieren bzw. ein
vielfältiges Schulleben über den Unterricht hinaus nicht nur
zu dulden, sondern durch Wahlkurse, Arbeitsgemeinschaf-
ten, Exkursionen und Projektgruppen zu fördern.
Sie beruhen letztlich alle darauf, dass sie demokratische
Kommunikationsformen, Riten, Normen und Verhaltens-
weisen einführen, festigen und selbstverständlich machen.
Die Bandbreite reicht von der Debattenschulung über die
Einübung von Simulationstechniken und die Konzeption
einer Schulverfassung und eines Schülerparlaments bis zur
wirkmächtigen Teilnahme an der Bewegung „Schule ohne
Rassismus“ – und vielem mehr.
Die Schule der Demokratie ist also in erster Linie die
Schule – wer auch sonst? Und alle politische Erziehung
nimmt in ihr ihren Anfang und findet in ihr die wichtigs-
ten Adressaten.
Dies gilt auch für die Arbeit der Landeszentrale, heute
mehr denn je. Während es in der „Verordnung über die
Errichtung einer Bayerischen Landeszentrale für Heimat-
dienst vom 11. November 1955“ und in der „Verordnung
über die Bayerische Landeszentrale für politische Bil-
dungsarbeit vom 9. April 1964“ übereinstimmend noch
lediglich hieß: „Die Landeszentrale […] hat die Aufgabe,
auf überparteilicher Grundlage das Gedankengut der
freiheitlich-demokratischen Staatsordnung im Bewußt-
sein der Bevölkerung zu fördern und zu festigen“, fügt die
Karikatur: Holger Appenzeller/Politik & Unterricht 3/4-2005