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Kooperation und Konfrontation
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
tarischen Arbeit verpflichtete, fehlten immer wieder so
viele Abgeordnete, dass die Vollsitzungen vor halb leeren
Bänken stattfanden und in Einzelfällen die Beschlussun-
fähigkeit festgestellt werden musste. Die Unterhaltungen
waren mitunter so laut, dass das Präsidium Schwierigkei-
ten hatte, sich Gehör zu verschaffen. Nach den besonders
heftigen Attacken in der Amtszeit der Viererkoalition von
1954 bis 1957 beruhigte sich das politische Klima spür-
bar. Bayernpartei und SPD waren nach den kräftezehren-
den Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre, die für
beide in der Opposition geendet hatten, erschöpft. Die
BP hatte mit Joseph Baumgartner und August Geislhörin-
ger im Zuge der „Spielbankenaffäre“ zudem ihre wichtigs-
ten Protagonisten verloren.
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Darüber hinaus waren die
CSU-Ministerpräsidenten Hanns Seidel und Hans Ehard
um moderatere Töne und um Ausgleich bemüht.
Trotz des rüden Umgangstons in der parlamentarischen
Auseinandersetzung konnte es außerhalb des Sitzungssaals
zu heiteren Verbrüderungsszenen auch über Parteigrenzen
hinweg kommen – bei einem Bier nach Sitzungsschluss
oder bei den unregelmäßig stattfindenden Parlamentari-
schen Abenden saßen Abgeordnete aller Fraktionen beim
Kartenspiel zusammen. Frauen blieben bei derartigen
„Männlichkeitsritualen“ meist außen vor.
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Ohnehin hat-
ten bis 1962 nur 25 weibliche Abgeordnete den Sprung
in den Landtag geschafft. Lediglich drei von ihnen erhiel-
ten einen Sitz in Landtagspräsidium oder Ältestenrat: Zita
Zehner und Franziska Gröber (beide CSU) sowie Hilde-
gard Hamm-Brücher (FDP). An einen Regierungsposten
war dagegen nicht zu denken.
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Eindrucksvolle Leistungsbilanz trotz widriger
Arbeitsbedingungen
Die parlamentarische Leistungsbilanz des Landtags ist
bemerkenswert: Bis 1962 verabschiedete er 546 Gesetze,
davon über 60 Prozent allein in den beiden ersten Legisla-
turperioden. Die Arbeitsbedingungen für Legislative und
Exekutive waren dagegen lange Zeit katastrophal. Landtag
und Regierung waren auf Notquartiere verteilt und hatten
mit heute kaum noch vorstellbaren Problemen wie dem
Mangel an Papier oder Heizmaterial zu kämpfen. Der
Landtag konnte erst 1949 in das Maximilianeum einzie-
hen – jedoch nur als Mieter, da das Gebäude bis heute
der gleichnamigen Stiftung gehört. Die Regierung begann
Mitte der 1950er-Jahre damit, repräsentativere Gebäude
für einzelne Ministerien zu errichten. Hatte sie als Sitz
des Ministerpräsidenten zunächst mit der ehemaligen
Preußischen Gesandtschaft und Reichsstatthalterei in der
Prinzregentenstraße 7 vorlieb nehmen müssen, entschloss
sie sich 1962 für einen Neubau der Staatskanzlei am öst-
lichen Rand des Hofgartens und damit in unmittelbarer
Nähe der früheren Residenz der Wittelsbacher. Nach etli-
chen Verzögerungen und Protesten gegen den als „baye-
rischen Kreml“
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verspotteten Neubau konnte dieser in
abgespeckter Form errichtet und 1993 bezogen werden.
Anregung für weitere Forschungen
Die Studie „Landtag und Regierung im Widerstreit“
ermöglicht einen Blick in die tägliche politische Arbeit in
den von Trümmernot geprägten Alltag der Nachkriegs-
jahre, einen Blick, der die Voraussetzungen für die uns
heute so selbstverständlich erscheinende Sicherheit einer
gewachsenen und in sich stabilen Demokratie offenlegt.
Die Fragen, wie sich das Verhältnis von Landtag und
Regierung im Freistaat seit 1962 weiter entwickelte, wie
sich das spezifisch bayerische Regierungssystem gerade in
der Jahrzehnte währenden Phase der CSU-Alleinregie-
rung bewährte, welche Änderungen im Instrumentarium
von Exekutive und Legislative seit dem Ende der „Wirt-
schaftswunderzeit“, insbesondere auch im wiederverei-
nigten Deutschland seit 1990 und vor dem Hintergrund
der Abgabe von Länderkompetenzen an die Europäische
Union, notwendig wurden, bieten breiten Raum für wei-
tere Forschungen.
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31 Zur Geschichte der Bayernpartei vgl. Ilse Unger: Die Bayernpartei. Ge-
schichte und Struktur 1945–1957, Stuttgart 1979, sowie Konstanze Wolf:
CSU und Bayernpartei. Ein besonderes Konkurrenzverhältnis 1948–1960,
Köln 1982.
32 Haus der Bayerischen Geschichte, Bildarchiv, Zeitzeugeninterview mit
Hildegard Hamm-Brücher, 10.01.1998, S. 34.
33 Vgl. Hilde Balke: Sie waren die Ersten: Frauen im Bayerischen Landtag
nach 1945, München 1996.
34 Bayerischer Landtag (Hg.): Verhandlungen des Bayerischen Landtags.
Plenarprotokolle 1982/86, Bd. 4, München 1986, 70. Sitzung, 07.02.1985,
S. 4020.
35 Einen ersten Überblick zu möglichen Themen und Fragestellungen bietet
Kock, Peter Jakob: Bayerischer Landtag (nach 1945), in: Historisches Le-
xikon Bayerns, URL:
http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45918 (16.09.2013).