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Kooperation und Konfrontation

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Auch bei der Verwaltungsvereinfachung scheiterte die

Kooperation ganz, denn so populär harte Einschnitte in

die obersten Staatsstrukturen – etwa die Verringerung der

Zahl der Landtagsabgeordneten oder die Abschaffung der

Staatssekretäre – waren, so wenig wagte man sich an sie

heran, weil sie der von allen Regierungen erhobenen For-

derung nach Stärkung der bayerischen Eigenstaatlichkeit

diametral zu widersprechen schienen.

Parlamentsdebatten als Spiegel der Zeit

Die Regierungserklärungen und die sich daran anschlie-

ßenden Aussprachen verliefen in der Betrachtungszeit

eher dröge und vorhersehbar: Alle Verlautbarungen der

Ministerpräsidenten waren nichts anderes als sachliche

Aufzählungen des geplanten Regierungsprogramms, die

in den Debatten von fast allen Rednern Punkt für Punkt

wiederholt wurden. Interessanter für den Leser von heute

ist, dass in den Debatten viel von der Atmosphäre der

damaligen Zeit spürbar wird. Dabei ist festzustellen, dass

ein Stimmungsbogen der Angst die gesamte Epoche über-

spannte: Ging es am Anfang um elementare Fragen der

menschlichen Existenz, stand am Ende das Gefühl einer

Bedrohung von Staat und Gesellschaft durch äußere und

innere Gefahren, sei es durch den wenig an der Sicherung

demokratischer Errungenschaften interessierten, bequem

gewordenen Wohlstandsbürger der „Wirtschaftswunder-

zeit“, sei es durch das Bewusstsein, im Ost-West-Kon-

flikt des Kalten Kriegs als „Frontland“ zum „Ostblock“

besonders gefährdet zu sein. Eine höchst optimistische

Zukunftsperspektive vermittelten dagegen die Ausführun-

gen des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wil-

helm Hoegner zur Kulturpolitik 1955. Er entwarf das Bild

einer „durch philosophisches kritisches Denken, durch

Forschung auf allen Gebieten der Naturwissenschaft […]

stark gewandelt[en]“ Gesellschaft, in welcher der Mensch

mehr denn je der „Erziehung zum verantwortlichen Indi-

viduum im sozialen Leben“ bedürfe. Hoegner forderte

eine „‚Erziehung‘“, die weit über den bloßen „‚Unterricht‘“

hinausgehen und „‚Überschau’“ statt „‚Vielwisserei’“ und

„‚Bildung‘“ statt „‚Ausbildung‘“ beinhalten müsse. Seine

euphorische Prognose der Entwicklung Bayerns zum For-

schungs- und Wissenschaftsstandort Nummer eins in der

Bundesrepublik hat bis heute Gültigkeit.

Parlamentarische (Un-)Kultur

Um die parlamentarische Kultur im Landtag war es zwi-

schen 1946 und 1962 nicht zum Besten bestellt. Über-

fliegt man die Plenarsitzungsprotokolle gerade für die

beiden ersten Legislaturperioden, entsteht das Bild eines

in grellen Farben schillernden Sittengemäldes einer mehr

oder weniger chaotischen Nachkriegszeit. Es waren nicht

wenige zwielichtige Gestalten, die sich nach 1946 im

Landtag tummelten. Viele von ihnen wurden sogar mit

Strafverfolgungsanträgen konfrontiert. Die Vorwürfe

reichten von Urkundenfälschung über Meineid bis hin

zur Körperverletzung. Immer wieder kam es im Plenarsaal

zu Auseinandersetzungen, bei denen es wüste Beschimp-

fungen hagelte und gelegentlich die Fäuste flogen. Wollte

man den politischen Gegner besonders treffen, warf man

ihm Versagen gegenüber dem Nationalsozialismus und/

oder Verstrickung in Machenschaften des NS-Regimes

vor. Auch die Sprache von Abgeordneten und Regie-

rungsmitgliedern war noch stark von der

„Lingua Tertii

Imperii“

(Victor Klemperer) geprägt – die „Endlösung“

der Flüchtlingsfrage tauchte in den Debatten ebenso auf

wie die Metapher vom kranken „Volkskörper“ oder das

Schlagwort vom „Volk ohne Raum“, das etwa eine weitere

Ansiedlung von Vertriebenen nicht vertrage. 

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Einige Aspekte der Parlamentarismuskritik unserer

Tage wurden bereits gegenüber dem Landtag der Jahre

1946 bis 1962 vorgebracht: Obwohl die Geschäftsord-

nung von 1948 zur aktiven Teilnahme an der parlamen-

30 Bayerischer Landtag (Hg.): Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Ste-

nographische Berichte 1946/50, Bd. 2/1, 31. Sitzung, 24.10.1947, S. 87

und 32. Sitzung, 30.10.1947, S. 126.

Sitzverteilung

gesamt: 204

Wahlergebnisse

SPD

30,8 %

FDP

5,6 %

CSU

45,6 %

BP

8,1 %

GB/BHE

8,6 %

DRP/NPD

0,6 %

Sonstige

0,7 %

SPD: 64

FDP: 8

CSU: 101

BP: 14

GB/BHE: 17

1958–1962, 4. Legislaturperiode