Table of Contents Table of Contents
Previous Page  27 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 27 / 80 Next Page
Page Background

27

Kooperation und Konfrontation

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Verfassungsmedaille, die seitdem für besondere Verdienste

um die Bayerische Verfassung verliehen wird.

Politische Zäsuren im Nachkriegsbayern

Wichtige Zäsuren für das Verhältnis Landtag – Regierung

bildeten der Austritt der SPD aus dem Kabinett Ehard I im

September 1947 und die Bildung der Viererkoalition 1954

gegen die CSU. In beiden Fällen kam es in der Folge zu

einer Frontstellung zwischen Opposition und Regierung,

die es in dieser Form zuvor noch nicht gegeben hatte. Die

Opposition versuchte jeweils, die Regierung aus dem Amt

zu drängen und an die Macht zurückzukehren. Die SPD

scheiterte dabei mit ihrem Plan, Ministerpräsident Hans

Ehard (CSU) durch ihren Rückzug zum Amtsverzicht

zu bewegen oder über die Selbstauflösung des Landtags

zu Neuwahlen zu gelangen. Auf der anderen Seite nutzte

Ehard die Situation, um die zwar mit einer absoluten Mehr-

heit ausgestattete, in sich aber zerstrittene CSU zumindest

oberflächlich zu befrieden und in einem ohne Neuwahl des

Ministerpräsidenten umgebildeten Kabinett zu vereinen.

Wäre ihm dieser strategische Schachzug nicht geglückt

und seine Regierung gescheitert, wäre es aufgrund der Zer-

rissenheit der CSU wahrscheinlich zu heftigen Kämpfen

um die Regierungsneubildung und zu einer Spaltung der

stärksten Partei gekommen. Auch die Verfassung, für die

sich Ehard – ebenso wie Wilhelm Hoegner auf Seiten der

SPD – wie ein Vater verantwortlich fühlte, hätte einen mas-

siven Imageschaden erlitten, hätte dieser Präzedenzfall doch

eindeutig belegt, dass sie die angestrebte Stabilität eben

nicht gewährleisten konnte. Es war der erste Schlüsselmo-

ment für den Neubeginn des bayerischen Parlamentarismus

ab 1946 – mit glücklichem Ausgang für die Regierung und

ernüchternder Wirkung für die Opposition. 

21

Die Auseinandersetzungen von Ende 1954 bis Oktober

1957 übertrafen diejenigen der ersten Legislaturperiode

deutlich an Schärfe. Die Konflikte reichten bis zu einem

mehrtägigen Sitzungsstreik der CSU-Fraktion. Diese war

mit ihrer Oppositionsarbeit weitaus erfolgreicher als zuvor

die SPD. Die CSU nutzte die Zeit von 1954 bis 1957 nicht

nur zu einer personellen und inhaltlichen Erneuerung und

organisatorischen Modernisierung, sondern trug auch mit

Attacken und Abwerbeversuchen gegenüber den kleinen

Fraktionen der Viererkoalition maßgeblich zu deren Bruch

bei. Den spektakulärsten Sieg feierte die CSU, als es ihr in

Verbindung mit der katholischen Kirche gelang, die auf

Entkonfessionalisierung und Akademisierung setzende

Lehrerbildungsreform der Viererkoalition aufzuhalten.

Damit konnte die Regierung unter dem SPD-Minister-

präsidenten Wilhelm Hoegner eines ihrer Prestigeprojekte

nicht umsetzen. 

22

Als sich die Flüchtlingspartei GB/BHE

und die Bayernpartei nach ihrer Wahlniederlage bei der

Bundestagswahl 1957 in ein neues Bündnis mit der CSU

retten wollten und die Koalition platzen ließen, gab Hoeg-

ner auf: Ohne eigene parlamentarische Mehrheit entschloss

er sich zum Rücktritt. Es war der zweite Schlüsselmoment

für den parlamentarischen Neubeginn seit 1946. In ihm

spiegelt sich das große Verantwortungsbewusstsein Wil-

helm Hoegners wider, der es nicht – wie von Teilen seiner

Partei gefordert 

23

– darauf ankommen ließ, sich im Landtag

einem Missbilligungsantrag zu stellen und damit GB/BHE

und BP zu zwingen, sich öffentlich zu ihrem Frontwech-

sel zu bekennen. Stattdessen wählte er den vornehmen

Rückzug des

Elder Statesman

, der die Eskalation der Krise

vermied und die reibungslose Neuwahl des Ministerprä-

sidenten ermöglichte. Gleichzeitig verhinderte er – wie

zuvor Ehard –, dass die Verfassung das Negativimage eines

unzulänglichen Instrumentariums für den Konfliktfall zwi-

schen Landtag und Ministerpräsident davontrug. Es blieb

bis zu den Rücktritten von Max Streibl 1993 und Edmund

Stoiber 2007 (beide CSU) der einzige Fall des vorzeitigen

Amtsverzichts eines Regierungschefs aus politischen Grün-

den. Einschränkend muss jedoch festgehalten werden, dass

21 Vgl. Bayerischer Landtag (Hg.): Verhandlungen des Bayerischen Landtags.

Stenographische Berichte 1946/50, Bd. 2, München 1948, 28. Sitzung,

20.09.1947, S. 1–16.

22 Vgl. Taubenberger (wie Anm. 12), S. 55–60.

23 Zu diesen Stimmen gehörte etwa der spätere SPD-Landesvorsitzende

Helmut Rothemund, vgl. Haus der Bayerischen Geschichte, Bildarchiv,

Zeitzeugeninterview mit Helmut Rothemund, 22.12.1997, S. 4.

Das erste Kabinett Ehard: In der Mitte Hans Ehard, rechts vorne Wilhelm

Hoegner, rechts hinten Alfred Loritz

Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag