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Kooperation und Konfrontation

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Militärgouverneur Walter J. Muller und sein Stab auf dem Weg zur Verfassunggebenden Landesversammlung in München, 15. Juli 1946

Foto: Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg/Bayer. Pressebild

Insbesondere die beiden großen Parteien CSU und SPD

setzten alles daran, um eine stabile Grundlage für den

Neuaufbau zu legen, der mithilfe der Verfassung abgesi-

chert werden sollte. Die Mütter und Väter der Verfassung

fürchteten, dass das politische Tagesgeschäft von Partei-

enstreit gelähmt würde, wie sie ihn bereits in der Weima-

rer Republik erlebt hatten. Als uneinnehmbaren Turm

im Staatsgebäude planten sie deshalb das Amt eines Bay-

erischen Staatspräsidenten. Er hätte Wogen politischen

Streits glätten und im Krisenfall – etwa wenn der Landtag

sich nicht auf die Wahl eines Regierungschefs hätte ver-

ständigen können – das Ruder im Freistaat übernehmen

sollen. Da der Staatspräsident bei der entscheidenden

Abstimmung knapp scheiterte, wurde als Ersatz die Stel-

lung des Bayerischen Ministerpräsidenten im Vergleich

zur Bamberger Verfassung von 1919 massiv gestärkt: Als

Chef der Regierung bestimmt er die Richtlinien der Poli-

tik, beruft und entlässt mit Zustimmung des Landtags die

Mitglieder seines Kabinetts. Sein Rücktritt hat den Rück-

tritt aller anderen Regierungsmitglieder zur Folge. 

4

Abschaffung des parlamentarischen Misstrauens-

votums

Da die Verfassungsgeber von 1946 die häufigen Regie-

rungswechsel vor 1933 als Grundübel für das Scheitern der

damaligen Demokratie ausgemacht und das Misstrauens-

votum als Hauptursache dafür identifiziert hatten, waren

sie – nach anfänglichem Zögern von SPD und KPD und

gegen den entschiedenen Widerstand der FDP – bereit,

darauf in der neuen Verfassung zu verzichten. Dabei über-

sahen sie allerdings, dass das Misstrauensvotum in Bayern

so gut wie gar keinen Einfluss auf die Regierungsverhält-

nisse ausgeübt hatte – es war zwischen 1919 und 1933

nur ein einziges Mal gegen einen einzelnen Minister (am

13. Mai 1921 gegen Kultusminister Franz von Matt) bean-

tragt und mit großer Mehrheit abgelehnt worden. 

5

Auf

Reichsebene waren hingegen per Misstrauensantrag immer-

hin zwei von 19 Regierungen gestürzt worden und schon

die schiere Möglichkeit eines Misstrauensvotums hatte

vielfach lähmend gewirkt. 

6

Das Hauptproblem der Wei-

4 Zur Genese der Bayerischen Verfassung und ihrer Bestimmungen vgl. Barbara

Fait: Demokratische Erneuerung unter dem Sternenbanner. Amerikanische

Kontrolle und Verfassungsgebung in Bayern 1946 (=Beiträge zur Geschichte

des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 114),

2

Düsseldorf 1998.

5 Vgl. Bayerischer Landtag (Hg.): Verhandlungen des Bayerischen Landtags.

Stenographische Berichte 1920/24, Bd. 3, München 1921, 63. Sitzung,

13.05.1921, S. 128.

6 Vgl. Lutz Berthold: Das konstruktive Mißtrauensvotum und seine Ursprünge in

der Weimarer Staatsrechtslehre, in: Der Staat 36 (1997), S. 81–94, hier S. 82.