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Katar: Im Anfang war das Öl

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Hier kochen die Gastarbeiter in einer Unterkunft, die von der Firma

HLG

gestellt wird.

„Schmutzig sind sie auch“: Ressentiments

Zurück bei Großvater Mohammad und Enkel Hasan: Die

Familie lädt nachmittags zum Tee. Unmengen an Gebäck

und anderen Süßwaren stehen im Zelt bereit, kleine Kin-

der springen lachend auf dem Boden herum oder schlafen

zufrieden vor sich hin. Die Erwachsenen wischen und tip-

pen emsig auf ihren Smartphones, zwischen den einzelnen

Nachrichten werden Höflichkeiten mit den Gästen aus-

getauscht. Zwei Anwesende aber passen nicht so recht ins

Bild: eine Frau vermutlich Mitte vierzig, sie steht gebückt

in der Ecke, und ein junges Mädchen; beide asiatischer

Herkunft. Die Augen sind von Müdigkeit gezeichnet,

sie tragen Schwarz, Grau, Braun und richten den Blick

konsequent gen Boden. Sie sind auf der Hut. Als Hasan

sie plötzlich laut auf Arabisch anschreit, zucken sie kurz

zusammen, das junge Mädchen strafft kaum merklich die

Schultern. Sie sehen weiter auf den Boden. Was Hasan so

wütend macht, ist nicht ersichtlich. Schließlich verlassen

die beiden Frauen das Zelt.

„Die asiatischen Hausmädchen sind alle so faul, es ist

nicht auszuhalten“, erklärt Hasan später. „Viele klauen –

man muss höllisch aufpassen. Schmutzig sind sie auch“,

klagt er. Wenigstens müsse er sich nicht mit schwange-

ren Philippinas herumschlagen, schiebt er hinterher. Die

Hausmädchen in seiner Familie kommen aus Indonesien;

zügellose Nicht-Muslimas hole er sich nicht nach Hause.

Hasan, der noch wenige Minuten zuvor so eloquent und

einnehmend über die Geschichte seiner Vorfahren sprach,

zeigt plötzlich ein ganz anderes Gesicht. 

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Die Tragödie der Hausmädchen in Katar ist eine nicht

weniger große als die der Gastarbeiter auf den Baustel-

len, auch wenn darüber nicht annähernd so viel berichtet

wird. Junge Mädchen begehen reihenweise Selbstmord,

weil sie in manchen Familien wie Tiere gehalten werden.

Sie müssen auf dem Boden schlafen, Nachtruhe gewährt

man ihnen nur wenige Stunden, Kontakt zu Freunden

und Familie streng verboten. Sie werden geschlagen und

vergewaltigt. Wenn sie dann schwanger sind, findet sich

meist ein Weg, sie loszuwerden.

Amnesty International

hat einen erschütternden Bericht mit dem Titel „Mein

Schlaf ist meine Pause“ dazu veröffentlicht. 

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Die doku-

mentierten Fälle sind erschreckend – zumal es für viele

Opfer kaum möglich ist, mit ihrem Schicksal nach außen

zu dringen. Sie führen kein eigenes Leben.

Natürlich behandeln nicht alle Familien – katarische

wie Expat-Haushalte – die Mädchen schlecht. Eine junge

Frau von den Philippinen zum Beispiel, sie nennt sich

„Happy“, hat es gut getroffen. Sie fühle sich sehr wohl

in der Familie, die sie engagiert hat, sagt sie. Die stammt

ursprünglich aus Spanien; die Wirtschaftskrise hat die

Frau, ihren Mann und die zwei Kinder nach Katar getrie-

ben: Das Gehaltsangebot war zu verlockend. Als Stütze im

Haushalt wäscht, kocht und putzt Happy. Viel Arbeit sei

das, ja, sagt sie – aber sie habe auch freie Zeit und ein eige-

nes Zimmer, erzählt sie fröhlich. Sie zeigt stolz ein i-Pad,

das ihre Chefin ihr geschenkt habe, zu Weihnachten. Über

Skype hält sie Kontakt zu Familie und Freunden. Happy

weiß aber auch, dass sie großes Glück hat: Eine ihrer Freun-

dinnen habe sich in einen indischen Chauffeur verliebt.

Als sie schwanger war, sei sie zur Abtreibung gezwungen

und dann mit dem nächsten Flieger nach Hause geschickt

worden. Sie erzählt von anderen, die Suizid begingen; von

Familienvätern, die die Mädchen vergewaltigt und von

ihren eigenen Töchtern sexuelle Enthaltsamkeit vor der

Ehe gefordert haben sollen.

46 Quelle: Gespräch mit der Autorin im Januar 2014.

47 Der Bericht lässt sich in englischer Sprache hier herunterladen: https://www.

amnesty.org/en/documents/MDE22/004/2014/en/

[Stand: 21.09.2015].