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Katar: Im Anfang war das Öl

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Busse holen die Arbeitsmigranten von der Spätschicht ab. Die Skyline von

Doha ist das meistfotografierte Motiv Katars; in der Regel fehlt dabei jedoch

ein Hinweis darauf, wer die teure Architektur erbaut hat.

Ein weiteres Problem ist die Sicherheit am Arbeitsplatz.

Der Arbeiter aus Asien scheint eine schier unerschöpfliche

Ressource zu sein. Manche Firmen legen auf die Sicher-

heit ihrer Arbeitnehmer daher offenbar weniger Wert

als notwendig. Der internationale Gewerkschaftsbund

(ITUC) sagte: Wenn sich an den Verhältnissen auf dem

Bau nichts ändert, werden bis zu 4.000 Arbeitsmigran-

ten bis zum WM-Jahr 2022 sterben. Hauptgründe sind

die hohen Temperaturen im Sommer, Dehydrierung und

mangelnde Hygiene in den Unterkünften.

Reformen und Hindernisse

Dennoch gibt es auch in Katar Menschen, die es ernst

meinen mit verbindlichen Standards und einer neuen

„Arbeitsethik“:

Education City

, Caféteria im gemeinsamen

Campus für Studenten aller Universitäten in der katari-

schen „Bildungsstadt“. Menschenrechtsaktivist Aakash

Jayaprakash hat eine NGO gegründet und eine Hotline

eingerichtet für Arbeiter, die nicht wissen, wohin in und

mit ihrer Not. Es gebe auch Fortschritte, sagt Jayaprakash.

Zum Beispiel die Abteilung „

Health, Safety, Security and

Environment

“ der

Qatar Foundation

(QF): eine Stelle, die

im September 2013 einzig dafür eingerichtet wurde, um

die Situation der Arbeiter zu verbessern, die an Projekten

der halbstaatlichen Stiftung beteiligt sind. Der QF steht

Sheikha Mozah vor, die Mutter des jungen Emirs Tamim

Bin Hamad Al Thani. 

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Sie widmet sich der Förderung

von Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsprojekten. Von

QF wurden bereits vor Gründung der Abteilung Mindest-

standards für Arbeiter entwickelt, die seit April 2013 in

jedem neuen Vertrag stehen. Die Stockbetten seien noch

das geringste Problem, sagt Jayaprakash. Wichtiger sei es,

den Anwerbeumständen nachzugehen. Die Arbeiter müss-

ten angemessen bezahlt werden, die Baufirmen umfassend

kontrolliert. Viele Firmen verstoßen gegen internationale

Standards und katarisches Recht. Sie zu kontrollieren, ist

die größte Schwierigkeit im Kampf um die Menschen-

würde, den Jayaprakash und andere Aktivisten täglich

kämpfen, eine flächendeckende Kontrolle durch Ehren-

amtliche ist selbstredend Utopie. Das Personal aber, das

der Staat dafür zur Verfügung stellt, reicht lange nicht aus.

Ist vielleicht auch der Wille zu schwach? Die Empathie

zu gering? Ist etwa der in Katar vorherrschende Rassismus

auch ein Grund dafür, dass so lange nichts gegen die Pro-

bleme unternommen wurde? Ein Aktivist, der gegen die

Diskriminierung der Arbeitsmigranten kämpft, aus Vor-

sicht aber nicht namentlich genannt werden will, ist davon

überzeugt. „Ich selbst habe einen indischen Pass, obwohl

ich in Katar geboren wurde“, sagt er. In Katar zählt nur der

als Bürger, dessen Vater bereits die Staatsbürgerschaft hatte.

Katarer, die sich auf eine Stelle bewerben, schicken manch-

mal sogar eine Kopie des Ausweises der Mutter mit – um

ihre Abstammung hervorzuheben. Er habe den Rassismus

am eigenen Leib oft genug erlebt, so der Inder – einer der

Gründe für sein heutiges Engagement, sagt er ernst. 

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Die Diskriminierung richtet sich insbesondere gegen die

asiatischen Fremdarbeiter im Land. „Wenn wir den Nepale-

sen gute Matratzen kaufen würden, wäre das verschwende-

tes Geld. Sie schlafen ohnehin lieber unter den Betten – so,

wie sie es von zuhause gewöhnt sind“, meint ein katarischer

Geschäftsmann aus dem Baugewerbe. Stereotypen aber

haben nicht nur Katarer im Kopf. Eine deutsche Manage-

rin, die in Doha lebt, berichtet stolz von der „Entwicklungs-

hilfe“, die sie mit ihrem philippinischen Hausmädchen

betreibe. Die seien doch daran gewöhnt, in „Lehmhütten

zu hausen“, und machten mit 300 Euro im Monat sehr viel

Geld. Die Diskussion um die widrigen Arbeitsbedingungen

hält sie für ein Komplott der englischen Presse, die Katar die

WMnicht gönne. 

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Deutsche Expats inDoha gehören nach

katarischer Gesellschaftsordnung der Kaste der „Experten“

an. Ingenieure, Manager, PR-Berater. Fachkräfte, vor allem

aus Europa und den Vereinigten Staaten, die meist unter

sich bleiben und privat weder mit den Arbeitern aus Asien

noch mit den Katarern verkehren.

43 Ein interessantes Kurzporträt der Frau, die auf dem internationalen Parkett

die moderne Seite Katars zeigen soll, liefert Daniel Gerlach: Mozah Bint Nas-

ser Al Missned. Das Gesicht Katars, in: Gerlach/Meier (wie Anm. 28), S. 92.

44 Milz (wie Anm. 7), S. 69.

45 Ebd.