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Katar: Im Anfang war das Öl

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

Der Waschraum der Arbeiter in der Sammelunterkunft der

HLG

lädt selbst

zur Reinigung ein.

„Sodomie“ in der Wüste

Zoe, der

Ladyboy

aus dem Friseur-Salon, spricht sehr

offen über die Doppelmoral in der katarischen Gesell-

schaft. Jedes Phänomen der Homosexuellenszene etwa

gebe es auch im Emirat, ist sie überzeugt. Sie selbst habe

etwa ein Dutzend katarische

Ladyboys

als Freunde. Sie tra-

gen oft lange Haare, die sie im Alltag zusammenbinden.

Zoe erzählt von rauschenden Privatpartys in den Dohaer

Luxushotels. Auf ihren Festen tragen die einheimischen

Ladyboys

Make-up, filigranen Schmuck, „unfassbar hohe

Absätze“ – und die Abaja, die traditionelle Kleidung der

Frauen in den Golfstaaten. Wenn sie die Party verlassen,

steigen sie wieder in ihre weißen

Thawbs

, die Tracht der

Männer. Über ihre Freier sagt sie, dass sie meist schon

Erfahrung mit katarischen Prostituierten hätten – ja, auch

die gibt es im Land. Sie nähmen wesentlich weniger als

Zoe.

Wenn Zoe von ihren katarischen Freiern schwärmt –

„ich liebe die Leute hier, sie behandeln dich, als wärst du

etwas ganz Besonderes“ –, lächelt sie spitzbübisch. Auch

ihre Mutter habe sich für sie gefreut. Sie habe ihr aber

auch mit auf den Weg gegeben, dass sie aufpassen solle,

nicht erwischt zu werden. In den 1990er Jahren infor-

mierte die philippinische Regierungsbehörde

Overseas

Employment Administration

im Inselstaat darüber, dass

Homosexuelle in Katar nicht arbeiten dürfen. Es war eine

Reaktion auf Massenverhaftungen und Ausweisungen

schwuler Philippiner aus dem Emirat. 1995 erregte dann

der Fall eines homosexuellen US-Amerikaners Aufsehen,

der sechs Monate in Haft saß – nachdem er 90 Peitschen-

hiebe über sich hatte ergehen lassen müssen.

Damals galten noch härtere Strafen für „Sodomie“. 

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So wird in vielen arabischen Ländern heute schlicht alles

bezeichnet, was abseits des heterosexuellen vaginalen

Geschlechtsverkehrs liegt. Dass die körperliche Liebe

zweier Männer dazugehört, darin ist man sich am Golf

jedenfalls einig. 2013 haben die Golfstaaten beschlossen,

Tests auf Homosexualität einzuführen, um die Menschen

davon abzuhalten, ihre Länder zu betreten. Wie diese aus-

sehen sollen, ist bisher nicht bekannt.

„Man kann hier nicht offen schwul leben“, sagt Zoe

über ihre katarischen Freunde, die homosexuell sind.

„Aber die Art, wie sie reden, wie sie sich bewegen – das

können sie nicht so einfach verändern“, sagt sie. Auch

zuhause dürften die schwulen Katarer nicht so sein, wie

sie sind. „Oft fragen sie mich, wie es ist, offen homose-

xuell zu leben“, erzählt Zoe. Auf den streng katholisch

geprägten Philippinen hatte sie es zwar ebenfalls nicht

leicht, doch sie war Entertainerin im japanischen Osaka.

Und sie hatte schon viele Beziehungen mit europäischen

und amerikanischen Männern, die sie in deren Heimat

besucht hat. Das wissen ihre Freier und Zoe klärt gerne

darüber auf.

Eine Gesellschaft, in der Homosexualität strikt tabui-

siert wird, ist noch sehr viel weiter davon entfernt, neben

Mann und Frau auch andere geschlechtliche Identitäten,

wie die von Zoe, anzuerkennen. Zudem ist Prostitution

illegal im Emirat. Es gilt als „gesellschaftliches Verbre-

chen“ und wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Zoe

mit ihrem Doppelleben droht noch Schlimmeres: „Jeder,

der Ehebruch oder Sodomie als Beruf ausübt, wird mit

bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft“, heißt es in Artikel

48 Das Schlagwort muss in vielen Ländern für alle möglichen Formen der

Sexualität herhalten, um diese zu verdammen: ein pseudoreligiöser Re-

kurs auf die Geschichte der Stadt Sodom. Sie steht im Alten Testament

und im Koran. Religionsgelehrte streiten darüber, wie die Geschichte

genau zu deuten ist: Bestraft Gott die Homosexualität oder die Verge-

waltigung? Ein entscheidender Unterschied.