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Katar: Im Anfang war das Öl
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
und oberflächlich.
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Zudem wird die Schuld an der Situa-
tion der Arbeiter gerne den Katarern alleine zugeschrieben –
Ressentiments gegen die reichen „Scheichs“ schwingen nicht
selten dabei mit. Doch es ist zu einfach, mit dem Finger ein-
zig auf das Emirat zu zeigen: An dem Geschäft verdienen
auch viele andere – nicht zuletzt internationale Unterneh-
men, die oftmals nicht so genau hinschauen, Subunter-
nehmen für die Rekrutierung und Verwaltung von Arbeit-
nehmern engagieren und so glauben, die Verantwortung
abgeben zu können.
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Auch deshalb stoßen die Schlagzeilen
den Katarern übel auf und oftmals wird reflexartig zurückge-
schossen. Ein Redakteur des Senders
Al-Jazeera
lässt sich bei
Tisch sogar zu der Behauptung hinreißen, es gebe gar kein
Arbeiterproblem: „Das sind alles Lügen.“
In der europäischen Berichterstattung fallen immer
wieder Worte wie „Sklaverei“. Tatsache ist: Das in Katar
wie in anderen Golfstaaten verbreitete
Kafala
-System
verpflichtet jeden ausländischen Arbeiter im Land dazu,
sich unter Patronage eines katarischen Garanten oder
„Sponsors“ zu stellen. Der sogenannte
Kafil
bürgt für den
Arbeitnehmer und soll ihm eigentlich Schutz und Hilfe
bieten. De facto bestimmt er dadurch aber auch, ob und
wie lange der Arbeiter im Land bleiben darf. In zahlrei-
chen Fällen führt das tatsächlich zu Verhältnissen totaler
Abhängigkeit. Das System ist anfällig für Missbrauch,
möglicherweise begünstigt es skrupellose Ausbeuter
sogar.
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Aber „Sklaverei“?
Franz Beckenbauer jedenfalls hat „noch keinen einzi-
gen Sklaven“ in Katar gesehen. Dies berichtete er 2013
im Fernseh-Interview. „Die“ – wen auch immer Becken-
bauer damit meinte – liefen alle frei herum und seien
nicht „in Ketten gefesselt“. Der Fußballfunktionär sagte:
„Ich habe mir vom arabischen Raum ein anderes Bild
gemacht und ich glaube, mein Bild ist realistischer.“
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Unwissenheit oder Zynismus? Wer es gut meint mit dem
„Kaiser“, plädiert auf ersteres. Natürlich ist das Bild der
Sklaverei ein schiefes. Und natürlich ist Beckenbauers
Aussage zynisch. Beides wird der komplexen Situation
nicht annähernd gerecht, unter der in Katar de facto aber
tausende Menschen leiden. Ja, die Arbeitsmigranten sind
freiwillig im Land. Genauer: Sie, die Verlierer der Glo-
balisierung, sind aus freien Stücken gekommen, um am
Gewinn teilzuhaben. Was sie in Katar erwartet, wissen
nicht alle, aber viele.
Etliche werden bereits in ihren Heimatländern betro-
gen, zahlen horrende Summen an zweifelhafte Agenturen,
um ein Arbeitsvisum zu erhalten. Nicht wenige arbeiten
das ganze erste Jahr nur dafür, diese Kosten wieder abzu-
bezahlen, manche sogar länger. Anderen wird der Pass von
ihren Sponsoren entzogen – auch das ist gesetzlich ver-
boten. Manche sind aber froh darüber, weil das wichtige
Dokument so im besten Fall in Sicherheit ist. Für wieder
andere bedeutet es, dass die Willkür des Arbeitgebers sie
ans Land fesselt. Auch dann, wenn sie lieber gehen wollen.
39 So war etwa schon im Jahr 2013 vielfach von „WM-Baustellen“ die Rede,
als diese noch gar nicht existierten, sondern an anderen Bauprojekten ge-
arbeitet wurde. Eines von vielen Beispielen ist
Focus Online
mit der Über-
schrift „Tote und Zwangsarbeit auf WM-Baustellen in Katar“ am 26.9.2013:
http://www.focus.de/sport/fussball/wm-2022/tid-33792/katastrophale-arbeitsbedingungen-moderne-sklaverei-44-tote-auf-wm-baustellen-in-
katar_aid_1113554.html [Stand: 17.09.2015].
40 Ausführliches Dossier über die deutschen Unternehmen in Katar vor dem
Hintergrund der Gastarbeiterproblematik mit dem Titel „Wir alle sind
Katar“ in: zenith. Zeitschrift für den Orient, März/April 2014, S. 60–77.
41 Zum Kafala-System und der Kritik daran vgl. auch Surak (wie Anm. 3),
S. 1030 f.
42 Das Interview ist nachzusehen auf
https://www.youtube.com/watch?v=ZUPfm4zsVNQ [Stand: 21.09.2015].
Drei Männer und ein Rechtsverstoß: Raj Bahadoor (unten links) mit seinen
Kollegen im gemeinsamen Zimmer. Die Stockbetten sind nach katarischen
Recht verboten – die meisten Baufirmen interessiert das genauso wenig
wie in diesem Fall die
Al Habtoor Leighton Group (HLG)
, eine Tochter des
Baukonzerns
Hochtief
.