Table of Contents Table of Contents
Previous Page  15 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 15 / 80 Next Page
Page Background

15

Katar: Im Anfang war das Öl

Einsichten und Perspektiven 3 | 15

und oberflächlich. 

39

Zudem wird die Schuld an der Situa-

tion der Arbeiter gerne den Katarern alleine zugeschrieben –

Ressentiments gegen die reichen „Scheichs“ schwingen nicht

selten dabei mit. Doch es ist zu einfach, mit dem Finger ein-

zig auf das Emirat zu zeigen: An dem Geschäft verdienen

auch viele andere – nicht zuletzt internationale Unterneh-

men, die oftmals nicht so genau hinschauen, Subunter-

nehmen für die Rekrutierung und Verwaltung von Arbeit-

nehmern engagieren und so glauben, die Verantwortung

abgeben zu können. 

40

Auch deshalb stoßen die Schlagzeilen

den Katarern übel auf und oftmals wird reflexartig zurückge-

schossen. Ein Redakteur des Senders

Al-Jazeera

lässt sich bei

Tisch sogar zu der Behauptung hinreißen, es gebe gar kein

Arbeiterproblem: „Das sind alles Lügen.“

In der europäischen Berichterstattung fallen immer

wieder Worte wie „Sklaverei“. Tatsache ist: Das in Katar

wie in anderen Golfstaaten verbreitete

Kafala

-System

verpflichtet jeden ausländischen Arbeiter im Land dazu,

sich unter Patronage eines katarischen Garanten oder

„Sponsors“ zu stellen. Der sogenannte

Kafil

bürgt für den

Arbeitnehmer und soll ihm eigentlich Schutz und Hilfe

bieten. De facto bestimmt er dadurch aber auch, ob und

wie lange der Arbeiter im Land bleiben darf. In zahlrei-

chen Fällen führt das tatsächlich zu Verhältnissen totaler

Abhängigkeit. Das System ist anfällig für Missbrauch,

möglicherweise begünstigt es skrupellose Ausbeuter

sogar. 

41

Aber „Sklaverei“?

Franz Beckenbauer jedenfalls hat „noch keinen einzi-

gen Sklaven“ in Katar gesehen. Dies berichtete er 2013

im Fernseh-Interview. „Die“ – wen auch immer Becken-

bauer damit meinte – liefen alle frei herum und seien

nicht „in Ketten gefesselt“. Der Fußballfunktionär sagte:

„Ich habe mir vom arabischen Raum ein anderes Bild

gemacht und ich glaube, mein Bild ist realistischer.“ 

42

Unwissenheit oder Zynismus? Wer es gut meint mit dem

„Kaiser“, plädiert auf ersteres. Natürlich ist das Bild der

Sklaverei ein schiefes. Und natürlich ist Beckenbauers

Aussage zynisch. Beides wird der komplexen Situation

nicht annähernd gerecht, unter der in Katar de facto aber

tausende Menschen leiden. Ja, die Arbeitsmigranten sind

freiwillig im Land. Genauer: Sie, die Verlierer der Glo-

balisierung, sind aus freien Stücken gekommen, um am

Gewinn teilzuhaben. Was sie in Katar erwartet, wissen

nicht alle, aber viele.

Etliche werden bereits in ihren Heimatländern betro-

gen, zahlen horrende Summen an zweifelhafte Agenturen,

um ein Arbeitsvisum zu erhalten. Nicht wenige arbeiten

das ganze erste Jahr nur dafür, diese Kosten wieder abzu-

bezahlen, manche sogar länger. Anderen wird der Pass von

ihren Sponsoren entzogen – auch das ist gesetzlich ver-

boten. Manche sind aber froh darüber, weil das wichtige

Dokument so im besten Fall in Sicherheit ist. Für wieder

andere bedeutet es, dass die Willkür des Arbeitgebers sie

ans Land fesselt. Auch dann, wenn sie lieber gehen wollen.

39 So war etwa schon im Jahr 2013 vielfach von „WM-Baustellen“ die Rede,

als diese noch gar nicht existierten, sondern an anderen Bauprojekten ge-

arbeitet wurde. Eines von vielen Beispielen ist

Focus Online

mit der Über-

schrift „Tote und Zwangsarbeit auf WM-Baustellen in Katar“ am 26.9.2013:

http://www.focus.de/sport/fussball/wm-2022/tid-33792/katastrophale-

arbeitsbedingungen-moderne-sklaverei-44-tote-auf-wm-baustellen-in-

katar_aid_1113554.html [Stand: 17.09.2015].

40 Ausführliches Dossier über die deutschen Unternehmen in Katar vor dem

Hintergrund der Gastarbeiterproblematik mit dem Titel „Wir alle sind

Katar“ in: zenith. Zeitschrift für den Orient, März/April 2014, S. 60–77.

41 Zum Kafala-System und der Kritik daran vgl. auch Surak (wie Anm. 3),

S. 1030 f.

42 Das Interview ist nachzusehen auf

https://www.youtube.com/watch?v

=ZUPfm4zsVNQ [Stand: 21.09.2015].

Drei Männer und ein Rechtsverstoß: Raj Bahadoor (unten links) mit seinen

Kollegen im gemeinsamen Zimmer. Die Stockbetten sind nach katarischen

Recht verboten – die meisten Baufirmen interessiert das genauso wenig

wie in diesem Fall die

Al Habtoor Leighton Group (HLG)

, eine Tochter des

Baukonzerns

Hochtief

.