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Kooperation und Konfrontation
Einsichten und Perspektiven 3 | 15
„Eine Verfassung ist kein Gesellschaftsspiel für Regentage in der Sommerfrische,
wo man sich alle möglichen und unmöglichen Fälle zurechtlegt, weil man nicht
ins Freie hinaus kann, weil es draußen regnet. Man muß sich fragen, was sind
die Grundgedanken, die für den ganzen Bau maßgebend sind.“
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So charakteri-
sierte der Staatsrechtsgelehrte Hans Nawiasky die Bedeutung, die er der Arbeit
an der Bayerischen Verfassung, an der er beratend beteiligt war, beimaß.
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1 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungs-Aus-
schusses der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 28.
Sitzung, 03.09.1946, Bd. 3, München 1948, S. 604. Dokumente zur Ver-
fassunggebung s. auch
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/landtagverfassungsgebung [Stand: 01.09.2015].
2 Dieser Beitrag geht auf die 2014 erschienene Dissertation „Landtag und Re-
gierung im Widerstreit. Der parlamentarische Neubeginn in Bayern 1946–
1962“ des Autors zurück, die sich einer Kernfrage dieser Verfassung widmet,
nämlich der Frage nach dem Verhältnis von Legislative zu Exekutive. Die
Studie untersucht, wie es nach dem Zusammenbruch der zwölfjährigen
Diktatur der Nationalsozialisten überhaupt möglich war, politische Institu-
tionen aufzubauen, in die Vertrauen gesetzt werden konnte. Nachweise und
Quellen in: Wolfgang Reinicke: Landtag und Regierung im Widerstreit. Der
parlamentarische Neubeginn in Bayern 1946–1962 (=Beiträge zum Par-
lamentarismus, 19), München 2014. Die Studie ist kostenfrei zu beziehen:
Bayerischer Landtag, Landtagsamt, Maximilianeum, 81627 München.
Stärkung der Regierung gegenüber dem Landtag
Einer der Grundgedanken der Bayerischen Verfassung war
die Stärkung der Regierung gegenüber dem Landtag. Die
Erfahrungen aus der Weimarer „Instabilitätsrepublik“
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und aus der Machtübernahme der Nationalsozialisten
hatten die Mütter und Väter der Verfassung regelrecht
traumatisiert. Sie befürchteten, dass sich die damaligen
Auswirkungen solch fragiler Verhältnisse und das Abglei-
ten in eine Diktatur wiederholen könnten. Diese Angst
mischte sich mit dem Zweifel am Gelingen einer Demo-
kratisierung in dem von der amerikanischen Besatzungs-
macht vorgegebenen Tempo. Gleichzeitig schätzte man
die Last der Aufgaben, die von der künftigen Regierung
zu schultern war, als so gewaltig ein, dass jede Beeinträch-
tigung ihrer Arbeit vermieden werden sollte. So entstand
eine, zumindest in ihrem Ersten Hauptteil, verspätete
„Schlechtwetter-Verfassung“ für Weimarer Verhältnisse.
3 So das Diktum des Historikers Rudolf Morsey; vgl. etwa Morseys Rezensi-
on zu Ulrich Herberts Studie „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutsch-
land – Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge“, in: FAZ
vom 01.10.2001, S. 9.
Bayern wurde bei Kriegsende 1945 von amerikanischen
und französisch-marokkanischen Truppen befreit und
gehörte anschließend zur US-Besatzungszone. Die Ame-
rikaner richteten Militärregierungen ein, die die Demokra-
tisierung auf Zonen-, Landes- und Regionalebene in Gang
setzten. Unter der Oberhoheit der US-Militärregierung für
Deutschland (OMGUS) und für Bayern (OMGB) vollzog
sich auch die Verfassunggebung 1946 in Bayern.
Hans Nawiasky beim Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1948
Foto: sz-photo