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2 Was ist Lesekompetenz?

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2.1

Lesen als kognitiver Prozess

Lesefertigkeit und Lesefähigkeit

Lesekompetenz im engeren Sinne setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedli-

cher Prozesse zusammen, die aufeinander aufbauen und im Unterricht aller

Fächer und Schularten trainiert werden müssen.

Dabei ist zwischen

hierarchieniedrigen und hierarchiehohen Prozessen

zu unterscheiden. Die hierarchieniedrige Lesefertigkeit meint das exakte und

automatisierte Dekodieren von Wörtern und kurzen Sätzen (sogenannten Pro-

positionen) in angemessener Lesegeschwindigkeit und mit sinngemäßer Be-

tonung (vgl. Rosebrock et al., 2011, S. 19 f.), kurz

Leseflüssigkeit

(fluency)

genannt.

Sobald diese Prozesse automatisiert ablaufen, kann die hierarchiehöhere Le-

sefähigkeit, das Leseverstehen, trainiert werden. Diese beinhaltet zum Beispiel

den Umgang mit Verständnisschwierigkeiten oder Schlussfolgerungen aus

dem Gelesenen. Sie ist beim Lesen umfangreicherer Texte entscheidend und

wird von der/dem Lesenden zum Teil bewusst gesteuert.

Während die Leseflüssigkeit v.a. in der Grundschulzeit und am Anfang der Se-

kundarstufe 1 trainiert wird, ist das Leseverstehen über die gesamte Schulzeit

hinweg zu schulen (vgl. 5.2 und 5.3).

2.1.1 Lesefertigkeit und -flüssigkeit

(fluency)

Vor dem Hintergrund der Entwicklungspsychologie vollzieht sich die idealtypi-

sche

Leseentwicklung

(vgl. Hoppe/Schwenke, 2013, S. 8–10) in drei Schrit-

ten (Schritte 2–4), nach Ratz (vgl. 1.2, Kompetenzmodell) kann diese Abfolge

um eine vorausgehende vierte Etappe (Schritt 1) ergänzt werden:

1. Schritt: Präliteral-symbolische Strategie

Zu Beginn der Leseentwicklung werden Bilder, ikonische Zeichen und Symbole

als bedeutungshaltig erkannt und ihre Aussagen entschlüsselt.

2. Schritt: Logografische Strategie

Auf der zweiten Stufe der Leseentwicklung werden Wörter ganzheitlich er-

kannt, ohne dass sie vollständig erlesen werden. Dies geschieht v. a. bei be-

kannten Namen und Texten.

3. Schritt: Alphabetische Strategie

Im dritten Schritt folgt die Erkenntnis, dass jedem Laut ein Graphem zugeord-

net werden kann. Anfangs wird synthetisierend, d. h. Buchstabe für Buchsta-

be, gelesen. Im weiteren Verlauf wird zu Silben zusammengefasst, dann diese

zu Wörtern.

4. Schritt: Orthografische Strategie

Schließlich werden häufig vorkommende Wortteile, Vorsilben sowie Endun-

gen, bestimmte Buchstabenkombinationen und kleine bekannte Wörter mit

einem Blick erkannt. Dies ermöglicht schnelles Lesen. Der Sichtwortschatz wird

trainiert und das Lesen erfolgt zunehmend automatisiert.

Leseflüssigkeit als

Voraussetzung für

Leseverstehen