Schulversuch Flexible Grundschule - Dokumentation, Ergebnisse, Emfpehlungen für die Praxis - page 55

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bearbeiten, damit schließlich auf der dritten Ebene,
der des Unterrichts, gehandelt werden kann.
Diagnostische Fähigkeiten der Lehr­
personen
Als Voraussetzung für jegliches Unterrichtshan-
deln in heterogenen Gruppen gilt die diagnosti-
sche Fähigkeit von Lehrpersonen. Sie müssen in
der Lage sein, die individuellen Fähigkeiten, Res-
sourcen und Bedürfnisse zu erkennen und richtig
einzuschätzen, um nicht nur hilfreiche Rückmel-
dungen geben zu können, sondern um vor allem
passende Lernangebote bereitstellen zu können.
Der Einsatz von diversen Diagnoseinstrumenten
hat dabei ebenso seinen Platz wie das Beobach-
ten im Schulalltag. Als unverzichtbar und überaus
nützlich erweisen sich die anschließenden dialogi-
schen Reflexionen, entweder im Pädagogen-Team
oder auch zusammen mit den Lernenden selbst.
Portfolios und Lerntagebücher werden dafür gern
eingesetzt. Der Vorteil des dialogischen Reflektie-
rens liegt in der Vielperspektivität. Jeder Beob-
achter bringt seine eigene Sicht auf dieselbe Sa-
che ein, und so entsteht ein differenziertes Bild,
das die Planung weiterer Lernschritte ermöglicht.
Individualisierende Unterrichtsformen
Als für den Umgang mit Heterogenität geeig-
nete Konzepte gelten insbesondere Individualisie-
rung und Differenzierung, aber auch offene Un-
terrichtsformen, kooperative Formen des Lernens
sowie der adaptive Unterricht. Individualisierende
Formen des Unterrichts setzen eine sehr genaue
Diagnose voraus, da sie den Anspruch haben, sich
individuell auf jedes einzelne Kind einzustellen.
Die Lernangebote werden von der Lehrperson
auf die diagnostizierten Lernvoraussetzungen zu-
geschnitten. Oft wird damit auch die Erwartung
eines stützenden oder kompensierenden Effekts
verbunden. Durch individuelle Förderung sollen
mögliche Schwächen oder Wissenslücken ausge-
glichen werden. Dass dieses Modell im Klassen-
verband an Grenzen stößt, liegt auf der Hand; es
findet seine Anwendung auch eher in definierten
Zeiträumen oder in speziellen Kursen. Bei durch-
gängigem Einsatz verlöre die Schule darüber hin-
aus ihren Charakter als Ort der Gemeinschaft.
Differenzierungskonzept
Das Differenzierungskonzept geht von Gruppen
aus, die jeweils nach einem gemeinsamen Merk-
mal zusammengestellt werden. Das kann inner-
halb des gemeinsamen Unterrichts geschehen,
aber auch im Zuge von Zusatzangeboten zum re-
gulären Unterricht, etwa in Trainingseinheiten zu
ausgewählten Bereichen. Innere Differenzierung,
die zeitweilige Einteilung der Schülerinnen und
Schüler innerhalb des Klassenverbandes, erfolgt
beispielsweise nach Lernzeit, Schwierigkeit oder
auch Interesse. Die Lehrperson macht mehrere
unterschiedliche Angebote; die Zuordnung zu den
Gruppen wird entweder von der Lehrperson vor-
genommen, oder die Schülerinnen und Schüler
ordnen sich selbst zu. Ein Vorteil dieses Konzepts
gegenüber der Individualisierung liegt in der ge-
ringeren Zahl der Angebote, die vorgehalten wer-
den müssen. Dennoch ist auch dieses Konzept
ebenso aufwendig wie anspruchsvoll, und sein Er-
folg ist allein durch die Tatsache des Differenzie-
rens nicht gewährleistet. Vielmehr kommt es auf
die feineren Werkzeuge des Unterrichtens an wie
Strukturierung und Klarheit, effektiven Umgang
mit Lernzeit und eine hilfreiche Feedback-Kultur.
Offene Unterrichtsformen
Offene Unterrichtsformen basieren auf reform-
pädagogischen Ideen und korrespondieren eng
mit dem Konzept des selbstregulierten Lernens.
Die Schülerinnen und Schüler verfügen über
Mitbestimmungsrechte hinsichtlich dessen, was
und wie sie lernen. Dabei gibt es unterschiedli-
che Grade der Öffnung von Unterricht; von eher
wenig selbstbestimmten Formen, in denen es
beispielsweise lediglich um die Reihenfolge des
Übens geht, bis hin zu sehr weitgehender Selbst-
bestimmung, bei der die Schülerinnen und Schü-
ler ihre eigenen Projekte planen, durchführen und
evaluieren. In der Grundschule haben Formen
wie Wochenplan oder Freiarbeit eine relativ weite
Verbreitung gefunden. Sie setzen selbstständiges
Arbeiten und gewisse Lernstrategien voraus, för-
dern sie aber auch. Die empirischen Befunde zur
Effektivität offener Unterrichtsformen sind nicht
eindeutig. Nach Rabenstein und Reh (2007) deu-
ten die zusammenfassenden Metaanalysen darauf
hin, dass durch offene Unterrichtsformen nicht-
III 1 Heterogenität als Herausforderung und Chance
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