spektiven außerhalb ihrer Möglich–
keiten. Sie sind zum Teil völlig blind
oder hochgradig sehgeschädigt und
zusätzlich noch mehr oder weniger
stark geistig behindert. Die fünf Kin–
der bzw. Jugendlichen im Alter zwi–
schen 6 und 18 Jahren leben in einer
gemeinsamen Wohngruppe, die von
einem Team aus Pädagogen, Erzie–
hern und Kinderpflegern betreut
wird. Unterricht im herkömmlichen
Sinn darf man hier nicht erwarten,
Lernziele und Lerntempo richten sich
vielmehr nach den individuellen An–
lagen der Gruppenmitglieder.
Die 6jährige Tomara z. B. wird an
diesem Vormittag mit Hilfe eines
Brettes, auf dem Gegenstände wie
eine Bürste oder eine Fahrradklingel
befestigt sind, darin geschult, mit ih–
ren Fingern bestimmte Gegenstände
zu erfühlen. Zur gleichen Zeit tastet
ihre Zwillingsschwester Sirnone vol–
ler Begeisterung mit zwei Wollflek–
ken in den Händen über die Seite ei–
nes Kinderbuchs, auf der eine Nuß–
schale aufgeklebt ist. So erfährt sie,
was die Hamster Kusche! und Wu–
schel, um die sich diese Geschichte
dreht, im Wald gesammelt haben.
Drei Momentaufnahmen aus der
schulischen Ausbildung blinder oder
sehbehinderter Kinder. Angesichts
der Unterschiede versteht es sich fast
von selbst, daß die pädagogische
Förderung der rund 1500 Kinder, die
in Bayern an einer solchen Behinde–
rung leiden, von vielfältigen Voraus-
12
SCHULE
aktuell
setzungen auszugehen hat. Das spie–
gelt sich auch im Programm der sie–
ben Schulen wider, die für die Ausbil–
dung des betroffenen Personenkrei–
ses zur Verfügung stehen. Ihr Ange–
bot reicht von der individuellen Be–
treuung über die Vorbereitung auf
den Haupt- bzw. Realschulabschluß
bis hin zur Möglichkeit, an der Berufs–
fachschule für Musik auf den Besuch
Christion Seuß, 32, Rechtsanwalt,
von Geburt an
stark
sehbehindert
und seit 16 Jahren blind, ist Lan–
desgeschäftsführer des Bayerischen
Blindenbundes.
eines Konservatoriums hinzuarbeiten.
Die sieben Schulen, die in den
Städten München, Nürnberg, Re–
gensburg und Würzburg oder in de–
ren näherer Umgebung (s. Anschrif–
ten S. 14) liegen, haben im großen
W
enn man sich vergegenwär–
tigt, daß der Mensch seine
Umwelt zu etwa 80 Prozent
über die Augen wahrnimmt, be–
kommt man eine Ahnung, wie viele
Informationen Blinden verlorenge–
hen. Letztlich sind die meisten Dinge
des Lebens davon betroffen: Man
kann sich zum Beispiel in einerneuen
Umgebung ohne fremde Hilfe kaum
oder gar nicht bewegen, muß bei al–
len Gesprächen ohne Gestik, Mimik
oder Blickkontakt auskommen, und
selbst die einfache Frage, ob die aus–
gewählte Kleidung zusammenpaßt,
wird zum Problem.
Daher ist es für ieden Blinden uner–
läßlich, die übrigen Sinne zu schär–
fen, um sein Handicap so gut wie
möglich auszugleichen. Ich habe es
mir u. a. angewöhnt, Daten und Ak–
tenzeichen wichtiger Urteile auswen–
dig zu lernen, weil es einfach zu zeit–
raubend wäre, iedesmal nachzu–
schlagen. Dennoch ist das Leben ei–
nes Blinden in einer Welf der Sehen–
den nicht immer einfach. Ich stoße in