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ehe für das Lesen gewinnen?

Man muß ihnen klarmachen, daß es

sich lohnt. Allerdings ist dazu schon

eine gewisse Begeisterungsfähigkeit

notwendig, denn erzwingen kann

man hier nichts, dazu sind Romane

einfach zu umfangreich. Sehr viel

hängt da von einzelnen Personen ab,

zum Beispiel den Lehrern oder Eitern,

die sich für die Sache einsetzen.

Und welche Rolle spielt dabei der

Deutschlehrer?

Der ist ganz wichtig. Erst neulich fiel

mir, als ich ein Gedicht interpretierte,

plötzlich der Name meines Lehrers

ein, der mir diese Dinge im Unterricht

erschloß und mich für sie begeisterte.

Leider wird heute die Schule allzu

häufig nicht mehr als Ort gesehen, an

dem man Erfahrungen macht und

sich an Dingen freut; viele gehen of–

fensichtlich nur noch dorthin, um be–

stimmte Ergebnisse zu erzielen . Und

wenn jemand ein Fach oder ein Buch

nicht für die Prüfung braucht, dann

belegt bzw. liest er es auch nicht. Das

ist doch eine Katastrophe! Denn was

nur auf Noten gerichtet und unter

Druck gelernt wird, das vergißt man

schnell wieder.

Worauf muß der Deutschunterricht

Ihrer Meinung nach Wert legen?

Ich wehre mich vor allem dagegen,

daß von Schülern, aber auch Lehrern

lustlos irgendwelche Anforderungen

erfüllt werden, an denen niemand

Spaß hat - einen zu starren Kanon

halte ich daher für schlecht. Die Ge–

dichte, Lesestücke, Romane oder

Dramen, die im Unterricht bespro–

chen werden, müssen auf jeden Fall

altersgemäß sein. Dabei sollte man

nicht übersehen, daß die Intelligenz

eines jungen Menschen in der Regel

sehr viel weiter entwickelt ist als seine

seelische Bereitschaft.

Kann man dann jungen Leuten im

Literaturunterricht eine "lphigenie"

überhaupt noch zumuten?

Ja, aber die reine, feine Klassik zu

erkennen ist ungeheuer schwer, dazu

braucht man eine gewisse seelische

Erwachsenheit. "Wilhelm Meisters

Lehrjahre" erscheint mir da leichter,

das besitzt mehr Ironie, und es gibt

eine richtige Liebeshandlung.

Was sollte auf jeden Fall in der Schu–

le gelesen werden?

Gebildet sein heißt, daß man einige

große Werke, die für die Entwicklung

des Abendlandes und unserer

geistigen Weit prägend waren, tat–

sächlich kennt. Dazu zählen ein bis

zwei Tragödien von Shakespeare,

8 SCHULE

aktuell

ein paar große Romane aus dem 19.

Jahrhundert, etwas von Themas

Mann, auch ein Werk von Grass. Ich

persönlich würde als Lehrer den jun–

gen Leuten daneben klarmachen,

daß der "Hyperion" von Hölderlin

ein Revolutionsbuch ist. Aber eine

Auswahl fällt sehr schwer.

ln Bayern sollen von jedem Schüler

pro Schuljahr drei Gedichte auswen–

dig gelernt werden. Was halten Sie

davon?

Sehr vernünftig, das ist gut für das

Gehirn, für das Gedächtnis. Ich

selbst lerne noch regelmäßig Ge–

dichte auswendig. Allerdings würde

ich vorschlagen, daß sich die Schüler

aus einem bestimmten Angebot das–

jenige Gedicht aussuchen können,

Für das

Lesen muß

man die

jungen

Leute be–

geistern,

erzwingen

läßt sich

nichts.

das sie lernen möchten. Ich glaube,

die Lehrer wissen da nicht immer,

was den Schülern Spaß macht.

Stichwort "Musik". Was unterschei–

det diese Kunstform grundsätzlich

von der Literatur?

Die Literatur hat die Aufgabe und die

Möglichkeit, den Menschen etwas

Konkretes vor Augen zu halten, sie zu

etwas aufzufordern. Das kann Musik

in dieser Form nicht. Aber sie vermag

Gefühle, Emotionen mitzuteilen und

eine Art tönende Gegenweit herzu–

stellen, die eine tiefe Spiritualität be–

sitzt. Musik fängt da an, wo Worte

aufhören. Ihr Vorteil liegt darin, daß

sie nach eigenen Gesetzen und For–

men entsteht, die nicht durch den All–

tag abgenutzt werden. Wie ver–

braucht dagegen die Worte durch

die fast allgegenwärtige Reklame

sind, merke ich immer wieder beim

Schreiben. Man muß heute beinahe

poetische Fähigkeiten besitzen, da-

mit eine positive Kritik über eine In–

szenierung oder ein Buch nicht wie

die Werbung für irgendein Wasch–

mittel klingt.

Sie schreiben über klassische Musik,

wie bewerten Sie im Vergleich dazu

Rock- oder Popmusik?

Als Kunst betrachte ich das nicht. Ich

langweile mich dabei von Herzen,

und manche Schlager finde ich, ganz

ehrlich gesagt, schon etwas dämlich.

Aber ich verurteile diese Musik nicht,

das ist für mich eine Art Zeitmode;

zur Kunst jedoch gehört mehr.

Wie kann man Ihrer Meinung nach

jungen Leuten den Zugang zur klassi–

schen Musik erleichtern?

Ich glaube, es funktioniert nicht durch

solche Filme wie "Amadeus". Um ein

Andante von Mazart schön zu finden,

muß man nun wirklich nicht wissen,

daß er Mädchen unter die Röcke ge–

griffen hat. Solche falschen Aktuali–

sierungen erzeugen lediglich ein kur–

zes Strohfeuer. Die Leute sind mo–

mentan begeistert, kaufen sich viel–

leicht sogar ein paar Platten, die sie

dann aber oft nicht einmal anhören.

Nein, das. führt zu nichts. Der Ansatz

muß die Musik selbst sein. Diese

Werke besitzen ja eine gewisse Sub–

stanz, und im Glücksfall wird man

davon berührt. Eine ganz große Rolle

spielt hier, ob man durch Elternhaus

oder Schule an diese Art von Musik

herangeführt wird. Ich verdanke da

meinem Vater sehr viel, der gut Violi–

ne spielen konnte und mit dem ich

sehr oft zusammen musiziert habe.

Herr Professor Kaiser, was wäre für

Sie ein Leben ohne Literatur, Theater

und Musik?

Armselig und leer!

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