H
ohlmeier:
Herr Goethe, überall
auf der Welt feiert man dieses
Jahr Ihren 250. Geburtstag. Wird
Ihnen der Trubel um Ihre Person nicht
allmählich zuviel?
Goethe: Meine Teuerste, ich bin nun
nach meiner Art ganz stille tmd ma–
che nur, wenns gar zu toll wird,
gror~e gror~e
Augen.
H:
Nun,
es ist
aber doch nicht zu
leugnen,
dass
Sie heute der bekanntes–
te deutsche Dichter, wenn nicht gar der
berühmteste Deutsche überhaupt sind.
G: Glauben Sie mir: Der Rulun ist so
verletzend fast als die Verrufenheit.
Wenn Sie nur wenige Wochen mit
ansehen könnten. wie mich täglich
eine Anzahl von Fremden zu bewm1-
den1 verlangt, woyon viele meine
Schriften nicht gelesen haben tmd
die meisten mich nicht verstehen ...
H:
Das kann ich
mir
überhaupt nicht
vorstellen, wo doch viele Ihrer Werke
bei
uns
seit langem zur Schullektüre
zählen .
G: Es
ist
ein gi·oßer L"nterschied, ob
ich lese zu Genuß w1d Belebw1g
oder zu Erkenntnis w1d Belehrung.
H:
Wie
so//
man sich denn Ihrer An–
sicht nach einem literarischen Werk
nähern?
G: "bm du es gelesen hast, so maeh
das Buch zu tmd stelle Betrachtungen
dariilier an. Kurze Aufsiitze. in die
man
\ 'Oll
Zeit zu Zeit seine Gedanken,
seine i.j1Jerzeugw1gen tmd Wünsche
niederlegt. um sich naeh einiger Zeit
12
SCHULE
aktuell
2/99
"'icder mit sich selbst zu unterhalten.
sind auch ein schönes llilfsmittel
eigner und
fre~~1der
ßildtmg.
H:
Für solche Ubungen hatten die Kin–
der in Ihren Tagen sicher noch mehr
Zeit und Muße als die ;etzige Schü–
lergeneration. Deren Freizeit ist heute
meist
schon vollkommen verplant.
G: 0
Beste, es gfüt kein Vergangenes,
das mm1 zmiieksehncn dürfü-, es i.>ibt
nm· ein e"ig Neues, das si<'h aus den
erweiterten Ele1nenten des Ver"an"e-
e e
nen gestaltet.
H:
Sie meinen, man sollte nicht zu
nostalgisch sein?
G: Altes Ftmdament ehrt man, darf
aber das Recht nicht aufgeben. ir–
gendwo wieder einmal von vorn zu
gründen.
H:
Ein wahrhaft
weises
Wort, das ich
voll und ganz unterschreiben
möchte. In Bayern haben wir ;a
angesichts der bevorstehenden
Jahrtausendwende eine Bildungs–
Interview
Johann Wolfgang
uon Goethe war nicht
nur Dichter, sondern
auch Minister.
Aus Anlass seines
250. Geburtstages, den
wir dieses Jahr
feiern, baten wir ihn
zu einem Gespräch
mit seiner 'Kollegin',
Kultusministerin
Monika Hohlmeier.
offensive gestartet,
um den Herausfor–
derungen der Zu–
kunft zu begegnen.
G: \'on hier tmd
heute geht eine
neue Epoche der
Weltgeschichte aus,
wul ihr künnt sa-
Was
nun,
Herr
gen. ihr seid dabei
gewesen!
H:
Exzellenz, ;etzt übertreiben
Sie! Aber
im
Ernst: Das mit dem
Zeitzeugen gilt in
gewissem
Sin–
ne ;a auch für Sie selbst...
G: Ich habe den
groL~cn
Vorteil.
<laß ich zu einer Zeit geboren
wurde, wo <lie größten Weltbegeben–
heiten an <lie Tag-esordmmg kmnen
tm<l sich clm·ch mein lm1ges Leben
fortsetzten, so daß ich mm Siebcn–
Jiihrigen Kriege, sodmm
\ 'Oll
der
Trcmumg Amerikas rnn Englm1d.
fcrne1· ,·on der Franzüsischcn Bevo–
lution und endlich von der gm1zen
Napoleonischen Zeit bis zwn Unter–
gange des Helden tuul den folgenden
Ereignissen lebendiger Zeuge war.
Hierdurch bin ich zu gm1z anderen
Resultaten tmd Einsiehten gekom–
men. als allen denen müglieh sein
wird, die jetzt geboren werden tmcl
die sich _jene
groJ~en
Begebenheiten
dureh· Biidwr aneignen miissen, die
sie nicht verstehen.
H:
Das kommt auf die Bücher an. Und
natürlich auf die Lehrkräfte.
G: ·überall lernt man nrn· rnn dem.
den mm1 liebt. Überhaupt lernet nie–
mand t'twas durch
blof~cs
Anhören,
tmd wer sich in gewissen Dingen
nicht selbst tfüig bemüht.
weil~
die
Sachen mu· oberflächlich und halb.
H:
Da sprechen Sie mir ganz
aus
dem
Herzen! Die Eigenverantwortung und
Selbsttätigkeit der Schüler zu steigern
ist eines meiner zentralen Anliegen.
Außerdem wollen wir mehr Augen–
merk auf das Grundwissen legen.
G: :\1öge das Stu<limn der griechi–
seheu tmd rfünischen Literatrn· im–
merfort die Basis der höhern Bil–
dtmg blefüen!
H:
Herr Geheimrat, bei allem Respekt,
so
war das eigentlich nicht gemeint.
Ich dachte eher an die mangelnde
Fähigkeit der Schülerinnen und Schü-