Herr Dorner, die Mehrheit der baye–
rischen Gymnasiasten fängt mit Eng–
lisch als erster Fremdsprache an, nur
relativ wenige dagegen mit Franzö–
sisch. Welche Ursachen hat dies?
Beginnen wir bei Französisch. Statt
relativ wenige könnten Sie hier auch
sagen relativ viele. Denn angesichts
der Tatsache, daß Französisch noch
gar nicht so lange als erste Fremd–
sprache zugelassen ist, darf man mit
dem gegenwärtigen Stand mehr als
·
zufrieden sein. Immerhin gibt es in
Bayern derzeit 76 Gymnasien mit
diesem Angebot. Umgekehrt darf
man sich nicht wundern, wenn die
Mehrzahl der bayerischen Schüler in
der 5. Jahrgangsstufe mit Englisch
anfängt. Nach dem letzten Weltkrieg
gehörte Bayern zur amerikanischen
Besatzungszone. Dementsprechend
hatte das Englische als Sprache der
Besatzungsmacht die Chance, beim
Wiederaufbau des gymnasialen
Schulwesens die erste moderne
Fremdsprache zu werden.
Wann würden Sie zu Englisch, wann
zu Französisch als erster Fremdspra–
che raten?
Ich möchte hier nicht zu einer be–
stimmten Fremdsprache raten, son–
dern nur deren besondere Qualitäten
aufzeigen und die Wahl den Eltern
überlassen. Eine Sprache wie Eng–
lisch die die Muttersprache von über
.
300
Millionen Menschen ist, spricht
für sich selbst. Andererseits liegt die
Eignung des Französischen als erste
Fremdsprache auf der Hand. Diese
Sprache wird in über
30
Staaten der
Weft gesprochen, hat einen ver–
gleichsweise geringen Wortschatz,
gilt als Muster der Klarheit und weist
ein in sich schlüssiges Sprachsystem
au~
an dem Kinder in der Logik des
Oenkens geschult werden können.
Wenn manche von Französisch sa–
gen, daß dies eine schwer zu lernen–
de Sprache sei, dann denken sie
wohl hauptsächlich an die Ausspra–
che und übersehen, daß Französisch
von der Schreibung her sicher leich–
ter zu erlernen ist als Englisch.
·
Kann man mit Französisch als erster
Fremdsprache in eine Schule wech–
seln, die mit Englisch beginnt?
Um den Eltern die ohnehin unberech–
tigte Scheu zu nehmen, ihre Kinder
am Gymnasium mit Französisch an–
fangen zu lassen, wurden
-
wie übri–
gens für Latein auch -besondere Er–
leichterungen geschaffen für den
Wechsel an andere Schularten. Für
Schüle0 die das betrifft, werden in
der zweiten Hälfte der Jahrgangsstu–
fe 6 Übergangskurse in Englisch ein–
gerichtet. Darüber hinaus ist ein
Wechsel der gymnasialen Ausbil–
dungsrichtung von der Schulordnung
her grundsätzlich möglich und im
einzelnen geregelt.
Wann sollte man sich eigentlich für
Französisch als zweite bzw. dritte
Fremdsprache entscheiden?
Hierzu ist generell zu sagen, daß ie-
Französisch noch Latein als dritte
Fremdsprache hinzutreten kann, was
dann den Wechsel von der mathema–
tisch-naturwissenschaftlichen in die
neusprachliche Ausbildungsrichtung
ermöglichen würde, ist gegenwärtig
noch in der Schwebe.
Was spricht denn Ihrer Meinung
nach vor allem für das Erlernen mo–
derner Fremdsprachen?
Ich glaube, als Staat im Herzen Euro-
"ALS STAAT IM
HERZEN EUROPAS
MUSS DEUTSCHLAND
EIN LAND SEIN,
IN DEMMAN
VIELE SPRACHEN
VERSTEHT UND
SPRICHT.''
der Frühbeginn einer modernen
Fremdsprache entschiedene Vorteile
mit sich bringt. Diese Feststellung soll
auf keinen Fall die sprachlichen Er–
folge der Schüler des neusprachli–
chen Gymnasiums, die Französisch
als dritte Fremdsprache lernen, in
Abrede stellen. ln den Genuß vertief–
ter sprachlicher Kenntnisse werden
iedoch eher Schüler kommen, die frü–
her mit Französisch beginnen. Wer
also den Schwerpunkt seiner Ausbil–
dung im Bereich der modernen
Fremdsprachen sieht, der wird in der
7
Jahrgangsstufe Französisch als
zweite Fremdsprache wählen.
Welche Auswirkungen hat diese
Wahl auf die weitere Ausbildung?
Derzeit ist es so, daß Französisch als
zweite Fremdsprache Englisch als er–
ste voraussetzt. Dadurch ist eine rein
auf moderne Fremdsprachen ausge–
richtete Sprachenfolge festgelegt,
wie sie am mathematisch-naturwis–
senschaftlichen, sozialwissenschaft–
liehen und wirtschaftswissenschaft–
lichen Gymnasium angeboten wird.
Oie Frage, ob durch eine Änderung
der Schulordnung zu Englisch und
pas mit vielen internationalen Ver–
flechtungen muß Deutschland ein
Land sein, in dem viele Sprachen ver–
standen und gesprochen werden. Au–
ßerdem ist eine breitgestreute fremd–
sprachliche Bildung, die einen direk–
ten Zugang zu anderen Ländern und
Völkern ermöglicht, eine wesentliche
Voraussetzung für ein friedliches Zu–
sammenleben. Der Satz "Lieben
kann man nu0 was man kennt " gilt
meines Erachtens gleichermaßen für
die Heimatliebe wie für die Völker–
verständigung. Das ist sozusagen der
ideelle Hintergrund für gute Kennt–
nisse in den modernen Fremdspra–
chen. Auf der anderen Seite ist es mit
Blick auf den europäischen Binnen–
markt und die weltweiten Beziehun–
gen deutscher Firmen sicher von gro–
ßem Vorteil, mehrere Sprachen zu
beherrschen. Das zeigt sich
z.
B.
schon beim Studium der Stellenange–
bote. Immer häufiger warden hier gu–
te Kenntnisse nicht nur in Englisch
und Französisch vorausgesetzt, son–
dern auch in Italienisch Spanisch
oder Russisch, um nur die neusprach–
lichen Kernfächer zu nennen.
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SCHULE
aktuell
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