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E

in Franzose, der eine Ab–

handlung über den Ele–

fanten schreiben soll,

kommt - wie könnte es

anders sein- schon im Titel zur

·Sache: "L'Eiephant et l'amour"

- Der Elefant und die Liebe.

Nur so kann und muß sein

Werk heißen.

Anders der sportliche Englän–

der. Sein Buch bekäme wohl

den Titel "How to shoot ele–

phants". Der sprichwörtliche

Geschäftssinn des Amerikaners

legt den Titel nahe: "How to

make Elephants bigger and

better."

Ein richtiger Deutscher aber,

wo setzt der den Hebel an? Sein

Titel muß kompliziert klingen

und

nach

Wissenschaft

schmecken . Ohne Tiefe und

Theorie geht da nichts. So no–

tiert er: "Materialien zu einer

Strukturanalyse des Elefanten

unter besonderer Berücksichti–

gung seiner Eigenschaft als

Tier."

Eine erfundene Geschichte,

gewiß. Aber mit der Wirklich–

keit kann sie es noch lange

nicht aufnehmen. Das lehrt ein

Blick auf das Verzeichnis der

Doktorarbeiten im Fach Päd–

agogik.

Typisch ist da ein Titel, der

an der Pädagogischen Hoch–

schule Ruhr das Licht der Weit

erblickte: "Spannung und Sus–

pense als Textverarbeitungska–

tegorie." Wer da nicht mit–

kommt, dem gibt der Untertitel

glasklare Auskunft: "Die Ände–

rung von Formulierungsstrate–

gien im Zuge transformatari–

scher Textverarbeitungsprozes–

se und ihre Auswirkung auf das

Verhalten von Rezipienten."

Auch in anderen deutschen

Städten bemüht sich die Päd–

agogik um verständliche Aussa–

gen. Die Berliner Luft beflügel-

te einen Doktoranden zu fol–

gendem Titel: "Lernen durch

klassenbildendes Superieren. "

An der Uni Sielefeld gab es den

Doktorhut für "Sprachhandlun–

gen und Sprachnichthandlun–

gen im Erziehungsprozeß".

Da wollte Harnburg nicht zu–

rückstehen. "Methodologische

Studien zur Grundlegung einer

Unterrichtsmethode" legte dort

ein Pädagoge vor. Ein anderer

Pestalozzi-Jünger der Hanse–

stadt schrieb "Eine Untersu–

chung zur Interessenvertretung

der Schüler im naturwissen–

schaftlich-technisch orientier–

ten Lehren des Primarbe–

reichs".

Genial auch dieser Wurf an

der Universität Münster: "Un–

tersuchungen zur Evaluation

des Arrangements, zu spezifi–

schen Arrangementtechniken

und deren Relevanz in der

Schul- und Hochschullehre."

Pädagogisches Urgestein wur–

de in Bonn angebohrt. Der Titel

der Doktorarbeit " Das Zwi–

schen als dialogischer Logos"

ist an Tiefgang wohl kaum

mehr zu schlagen. ·

Deutsche

Formulierungskünste

Auch lnnsbruck trägt sein

Schärflein bei. Mit der Doktor–

arbeit über "Eine motivations–

psychologische Untersuchung

zur Feststellung ökologisch be–

dingter Leistungsmotivations–

unterschiede" hat es Anschluß

gefunden an bundesdeutsche

Formulierungskünste.

Pädagogische

Lebenshilfe

von seltener Qualität verspricht

diese Doktorarbeit der Univer–

sität Augsburg: "Handlungspla–

nung als Komponente kogniti–

ver Sozialisation . Eine entwick–

lungspsychologische Untersu-

chung zur Regulation und

Reflexion von Planung im All–

tagshandeln ."

. Aufhorchen läßt ein Olden–

burger Wissenschaftler mit sei–

ner Dissertation "Dummheit als

Devianz". Knapp und griffig

nimmt er das Zentralproblem

der Pädagogik beim Wort. Wer

hier nicht klarkommt, den rettet

vielleicht ein Wörterbuch .

Keysers Fremdwörterlexikon

kennt die "deviation conju–

gee", die Zwangsaugenstellung

bei Krankheitsherden im Groß–

hirn. Das trifft wohl nicht ganz

ins Schwarze. August Heyses

Fremdwörterbuch klärt den Be–

nützer über den "Deviateur"

auf, den Abtriebsanker beim

Luftschiff. Auch das geht nicht

in Richtung Dummheit.

Erst im "Großen Brockhaus"

wird man fündig: "Devianz" ist

ein Begriff der Soziologie und

der Psychiatrie, eine Abwei–

chung von gesellschaftlichen

Normen. Ach so! Aber wer ist

jetzt der Dumme?

Nun haben es natürlich die

jungen Wissenschaftler auch

recht schwer. An der Universi–

tät des Saarlandes wollte einer

beim Klartext bleiben. Er

schrieb über Prüfungsängste

und war tatsächlich so frei, den

ausgezeichneten Titel "Angst in

der Prüfung" zu wählen.

Dann aber scheint den Autor

selbst die Angst gepackt zu ha–

ben, der verständliche Titel

könnte Hinz und Kunz zum Le–

sen reizen. Ersann er deshalb

den abschreckenden Untertitel

ßeiträge zu einer kognitiven

Theorie der Angstentstehung in

Prüfungssituationen"?

Ein

wahrhaft genialer Schachzug!

Die drohende "Devianz " zu

den Fachkollegen war vermie–

den, die Sprache wieder im

Lot. Für dieses hohe Ziel fließt

TSCH

der

Gelehrtenschweiß

in

Strömen .

Kein moderner Pädagoge

~-~

der nicht auf Anhieb wüßte

•'

wie man durch "klassenbilden-

des Superieren" lernt, was ein

"Spiralcurriculum" mit dem

"Ökofaktor Wasser" zu tun hat,

oder was die "Kausalattribu–

ierung in einer selbstwertrele–

vanten Leistungssituation" im

Schilde führt.

Mit Hilfe einer Göttinger

Doktorarbeit sind uns )mplizi–

te Individualisierungsstrategien

in der unterrichtlichen Lehrer–

Schüler-Interaktion" keine böh–

mischen Dörfer mehr.

Komplizierter als

Kisuaheli

Wer hingegen mit der "Dis–

semination und Implementa–

tion

berufspraxisorientierter

Lehrer-Ausbildungsprogram–

me" nicht zurechtkommen soll –

te, dem kann getrost zur Thera–

pie folgende Arbeit der Fern–

universität Hagen ans Herz ge–

legt werden: "Erlernte Hilflosig–

keit - ausschließlich ein Pro–

blem unangemessener Kogni–

tionen."

Eine

Überlegung

zum

Schluß: Was lernen Kinder von

Pädagogen, die so reden? Das

Einmaleins? Die Grundgedan–

ken des Grundgesetzes? Den

gelenkigen deutschen Satz?

Was könnten wir z. B. von je–

ner Dame aus Dortmund ler–

nen, die über "Prozesse derEn–

kulturation und Personalisation

durch Textilgestaltung im Be–

reich der Schule" den Doktor

. gemacht hat? Vielleicht Strik–

ken und Sticken, die gute alte

Handarbeit? Aber so schlicht

redet die deutsche Pädagogik

längst nicht mehr.