reportage, Leser einer Zeitung–
letztlich wohl jedermann wür–
de auf eine so unpräzise Frage
mit "ja" antworten. Flugs ließe
sich daraus die Sensationsmel–
dung basteln: "Fußballfans le–
ben gefährlich! Fast alle sehen
sich im Stadion Handgreiflich–
keiten ausgesetzt." Proteste des
Deutschen
Fußballbundes
könnte das verantwortliche
Meinungsforschungsinstitut
auf seine Daten pochend- zu–
rückweisen , wenn nicht gar als
Geschäftsschädigung auslegen .
Regelwidrig
Ein konstruierter Fall? Nicht
die Spur! Denn ähnlich lief die
Erhebung des Münchner
IJF–
Instituts zum Thema "Prügel in
der Schule". Die Frage, die es
049 Schülern in der Bundesre–
publik und West-Berlin vorleg–
te, lautete nämlich: "Kam es
schon einmal vor, daß in Dei–
ner Klasse ein Lehrer oder eine
Lehrerin jemand geschlagen
hat?" Der unverzeihliche Fehler
dieser Fragestellung: Sie läßt
völlig offen, wann die Beob–
achtung gemacht wurde. Heu–
te? Gestern? Vorgestern? Letzte
Woche? Vergangenes Jahr?
Oder gar schon vor einem
knappen Jahrzehnt? Immerhin
blickten ja die ältesten unter
den befragten Schülern schon
auf mindestens neun Schuljah–
re zurück!
Die Frage läßt auch offen, ob
die Watschen selbst erlitten,
bei anderen beobachtet oder
nur mündlich überliefert wur–
den, ob sie einmaliges Vor-
."-kommnis oder Schulalltag wa-
,tn,
und wenn ja, über wel–
chen Zeitraum hinweg. Was für
ein Anreiz, welch riesiges Feld
für Schülerphantasie, Klassen–
tratsch und Wichtigtuerei!
Es grenzt fast an ein Wunder,
daß bei derartig verschwomme–
ner Fragestellung, die eine be–
stimmte Antwort förmlich vor–
programmiert, der Befund nicht
noch schlimmer ausgefallen ist.
Es grenzt an üble Nachrede ge–
genüber unseren
Lehrern,
wenn man die Antworten auf
eine so verwaschene Frage als
deutsche Schulwirklichkeit hin–
stellt, wenn man vage, viel–
leicht schon Jahre zurücklie–
gende und nicht einmal unbe–
dingt selbst erlebte Beobach–
tungen als hier und heute erlit–
tenes Schülerleid in die Weit
posaunt. Denn nichts anderes
behauptete das Fernschreiben
des IJF-Instituts mit seiner Fest–
stellung im lapidaren Präsens:
Unsere Schüler "sehen . . . sich
handgreiflich lehrenden Päd–
agogen ausgesetzt".
Soviel zur Art der Fragestel–
lung der Münchner Meinungs–
forscher. Vollends haarsträu–
bend aber wird die Geschichte,
wenn das IJF-Institut ein Stadt–
Land-Gefälle aus seinen Daten
saugt oder gar zum Länderver–
gleich ausholt. Dann beginnen
anscheinend selbst eherne
Grundsätze der seriösen Sozial–
forschung zu wanken.
Originalton
IJF:
"ln Dörfern,
Klein- und Mittelstädten wird
von den Lehrern häufiger hin–
gelangt als in Städten mit über
100000 Einwohnern. ln Groß–
städten und im ,Hohen Nor–
den', also in Schleswig-Hol–
stein, Hamburg, Bremen und
Niedersachsen wurden von 41
Prozent der Sechs- bis Fünf–
zehnjährigen Schläge austei–
lende Lehrer registriert. Deut–
lich weniger als in Bayern: Hier
sehen sich 53 Prozent der
Schüler handgreiflich lehren–
den Pädagogen ausgesetzt." Da
sieht man förmlich das flache
Land in seiner finsteren Rück–
ständigkeit und Bayern als
Hochburg der
Prügelpäd–
agogik!
Zwar weichen die erhobenen
Zahlen tatsächlich nicht nur
zwischen Städten und Dörfern,
sondern auch von Bundesland
zu Bundesland etwas vonein–
ander ab. Aber nur der Laie läßt
sich davon beeindrucken, hält
die Unterschiede für aussage–
kräftig und beweisfähig. jeder
halbwegs mit den Regeln der
Meinungsforschung Vertraute
weiß: Die wissenschaftliche
Genauigkeit in solchen Erhe–
bungen steht und fällt mit der
Zahl der befragten Personen .
Erst ab einer bestimmten Min–
destmenge erlangen die Ergeb–
nisse Beweiskraft.
Fehlschluß
je größer die Stichprobe,
d. h. je größer die Anzahl der
Befragten, desto zuverlässiger
die Aussage. Von zwei Millio–
nen bayerischen Schülern be–
fragte das IJF-Institut ganze
173. in Baden-Württemberg
waren es nur 156, .in Nord–
rhein-Westfalen 274. Nach
dem Einmaleins der seriösen
Wissenschaft (in der Fachspra–
che "Zwei-Sigma-Regel" ge–
nannt) reichte dies nicht mehr
aus, um damit eindeutige Ver–
gleiche anstellen zu können.
Bei einer so geringen Zahl von
Befragten muß nämlich mit er–
heblichen Abweichungen vom
"wahren Wert"
gerechnet
werden.
Die Schwankungsbreite der
aus der Prügelumfrage für Bay–
ern ermittelten Werte beträgt
Falscher Alarm -ausgelöst durch eine höchst fragwürdige Umfrage
des Münchner Instituts für Jugendforschung - lieferte wochenlang
Schlagzellen und brachte unsere Lehrer in Mißkredit. Die Prügel von
der Presse waren unverdient, wie sich jetzt herausstellte.
fast 15 Prozent. Für Baden–
Württemberg sogar annähernd
16 Prozent! Berücksichtigt man
diesen
Unsicherheitsfaktor,
hört das bayerische Ergebnis
auf, sich vom Meinungsprofil
der anderen Bundesländer si–
gnifikant zu unterscheiden . Die
Werte sämtlicher Bundesländer
überschneiden und überlagern
sich (Schaubild S. 14 oben).
Die Behauptung echter Unter–
schiede zwischen ihnen wird
damit zum Unfug. Nicht anders
steht es mit dem vom IJF-Insti–
tut behaupteten Stadt-Land-Ge–
fälle . Auch hier gibt es keinerlei
signifikante Unterschiede, die
erhobenen Werte überlappen
sich wie beim Ländervergleich
(Schaubild S. 14 unten).
Niemand bestreitet, daß hin
und wieder einem Lehrer die
Hand ausrutscht ...: trotz aus–
drücklichem Verbot. Werden
solche Vorkommnisse ange–
zeigt, ziehen sie gerichtliche
und dienstliche Strafverfahren
nach sich. Dadurch bleiben sie
Ausnahmefälle. Das Münchner
Institut aber legt das Gegenteil
nahe. Was Ausnahme ist, läßt
es hier als Regel erscheinen .
Statt Licht in einen finsteren
Winkel zu werfen, wird so die
Schullandschaft ohne echten
Beweis in künstliche Schatten
getaucht. Gewiß war es reiner
Zufall, daß die Bombe auch ge–
nau in dem Augenblick gezün–
det wurde, als ein großer Bil–
dungskongreß in der Landes–
hauptstadt die Aufmerksamkeit
der pädagogischen Weit nach
Bayern lenkte.
Eines steht fest: Erschüttert
wurde der gute Ruf unserer
Lehrer und das Vertrauen der
Eitern in die Schule. Dies um so
nachhaltiger, als gerade das
hier vorliegende Beispiel zeigt,
wie zählebig heutzutage eine
im Ornat der Wissenschaft auf–
tretende Schauermär sein kann:
Fast zwei Jahre nach der Erst–
veröffentlichung brachte sie
jüngst die BUNTE-lilustrierte in
Riesenauflage erneut unter die
Leute. Und wenn nicht alles
täuscht, wird sie der leichtgläu–
bigen Öffentlichkeit wohl noch
mehrmals aufgetischt werden;
denn gerade in Wahlkampfzei–
ten florieren antibayerische Kli–
schee-Meldungen. Wie abge–
schmackt, falsch und faden–
scheinig auch immer sie sein
mögen.
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