Table of Contents Table of Contents
Previous Page  15 / 24 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 15 / 24 Next Page
Page Background

reportage, Leser einer Zeitung–

letztlich wohl jedermann wür–

de auf eine so unpräzise Frage

mit "ja" antworten. Flugs ließe

sich daraus die Sensationsmel–

dung basteln: "Fußballfans le–

ben gefährlich! Fast alle sehen

sich im Stadion Handgreiflich–

keiten ausgesetzt." Proteste des

Deutschen

Fußballbundes

könnte das verantwortliche

Meinungsforschungsinstitut

auf seine Daten pochend- zu–

rückweisen , wenn nicht gar als

Geschäftsschädigung auslegen .

Regelwidrig

Ein konstruierter Fall? Nicht

die Spur! Denn ähnlich lief die

Erhebung des Münchner

IJF–

Instituts zum Thema "Prügel in

der Schule". Die Frage, die es

049 Schülern in der Bundesre–

publik und West-Berlin vorleg–

te, lautete nämlich: "Kam es

schon einmal vor, daß in Dei–

ner Klasse ein Lehrer oder eine

Lehrerin jemand geschlagen

hat?" Der unverzeihliche Fehler

dieser Fragestellung: Sie läßt

völlig offen, wann die Beob–

achtung gemacht wurde. Heu–

te? Gestern? Vorgestern? Letzte

Woche? Vergangenes Jahr?

Oder gar schon vor einem

knappen Jahrzehnt? Immerhin

blickten ja die ältesten unter

den befragten Schülern schon

auf mindestens neun Schuljah–

re zurück!

Die Frage läßt auch offen, ob

die Watschen selbst erlitten,

bei anderen beobachtet oder

nur mündlich überliefert wur–

den, ob sie einmaliges Vor-

."-kommnis oder Schulalltag wa-

,tn,

und wenn ja, über wel–

chen Zeitraum hinweg. Was für

ein Anreiz, welch riesiges Feld

für Schülerphantasie, Klassen–

tratsch und Wichtigtuerei!

Es grenzt fast an ein Wunder,

daß bei derartig verschwomme–

ner Fragestellung, die eine be–

stimmte Antwort förmlich vor–

programmiert, der Befund nicht

noch schlimmer ausgefallen ist.

Es grenzt an üble Nachrede ge–

genüber unseren

Lehrern,

wenn man die Antworten auf

eine so verwaschene Frage als

deutsche Schulwirklichkeit hin–

stellt, wenn man vage, viel–

leicht schon Jahre zurücklie–

gende und nicht einmal unbe–

dingt selbst erlebte Beobach–

tungen als hier und heute erlit–

tenes Schülerleid in die Weit

posaunt. Denn nichts anderes

behauptete das Fernschreiben

des IJF-Instituts mit seiner Fest–

stellung im lapidaren Präsens:

Unsere Schüler "sehen . . . sich

handgreiflich lehrenden Päd–

agogen ausgesetzt".

Soviel zur Art der Fragestel–

lung der Münchner Meinungs–

forscher. Vollends haarsträu–

bend aber wird die Geschichte,

wenn das IJF-Institut ein Stadt–

Land-Gefälle aus seinen Daten

saugt oder gar zum Länderver–

gleich ausholt. Dann beginnen

anscheinend selbst eherne

Grundsätze der seriösen Sozial–

forschung zu wanken.

Originalton

IJF:

"ln Dörfern,

Klein- und Mittelstädten wird

von den Lehrern häufiger hin–

gelangt als in Städten mit über

100000 Einwohnern. ln Groß–

städten und im ,Hohen Nor–

den', also in Schleswig-Hol–

stein, Hamburg, Bremen und

Niedersachsen wurden von 41

Prozent der Sechs- bis Fünf–

zehnjährigen Schläge austei–

lende Lehrer registriert. Deut–

lich weniger als in Bayern: Hier

sehen sich 53 Prozent der

Schüler handgreiflich lehren–

den Pädagogen ausgesetzt." Da

sieht man förmlich das flache

Land in seiner finsteren Rück–

ständigkeit und Bayern als

Hochburg der

Prügelpäd–

agogik!

Zwar weichen die erhobenen

Zahlen tatsächlich nicht nur

zwischen Städten und Dörfern,

sondern auch von Bundesland

zu Bundesland etwas vonein–

ander ab. Aber nur der Laie läßt

sich davon beeindrucken, hält

die Unterschiede für aussage–

kräftig und beweisfähig. jeder

halbwegs mit den Regeln der

Meinungsforschung Vertraute

weiß: Die wissenschaftliche

Genauigkeit in solchen Erhe–

bungen steht und fällt mit der

Zahl der befragten Personen .

Erst ab einer bestimmten Min–

destmenge erlangen die Ergeb–

nisse Beweiskraft.

Fehlschluß

je größer die Stichprobe,

d. h. je größer die Anzahl der

Befragten, desto zuverlässiger

die Aussage. Von zwei Millio–

nen bayerischen Schülern be–

fragte das IJF-Institut ganze

173. in Baden-Württemberg

waren es nur 156, .in Nord–

rhein-Westfalen 274. Nach

dem Einmaleins der seriösen

Wissenschaft (in der Fachspra–

che "Zwei-Sigma-Regel" ge–

nannt) reichte dies nicht mehr

aus, um damit eindeutige Ver–

gleiche anstellen zu können.

Bei einer so geringen Zahl von

Befragten muß nämlich mit er–

heblichen Abweichungen vom

"wahren Wert"

gerechnet

werden.

Die Schwankungsbreite der

aus der Prügelumfrage für Bay–

ern ermittelten Werte beträgt

Falscher Alarm -ausgelöst durch eine höchst fragwürdige Umfrage

des Münchner Instituts für Jugendforschung - lieferte wochenlang

Schlagzellen und brachte unsere Lehrer in Mißkredit. Die Prügel von

der Presse waren unverdient, wie sich jetzt herausstellte.

fast 15 Prozent. Für Baden–

Württemberg sogar annähernd

16 Prozent! Berücksichtigt man

diesen

Unsicherheitsfaktor,

hört das bayerische Ergebnis

auf, sich vom Meinungsprofil

der anderen Bundesländer si–

gnifikant zu unterscheiden . Die

Werte sämtlicher Bundesländer

überschneiden und überlagern

sich (Schaubild S. 14 oben).

Die Behauptung echter Unter–

schiede zwischen ihnen wird

damit zum Unfug. Nicht anders

steht es mit dem vom IJF-Insti–

tut behaupteten Stadt-Land-Ge–

fälle . Auch hier gibt es keinerlei

signifikante Unterschiede, die

erhobenen Werte überlappen

sich wie beim Ländervergleich

(Schaubild S. 14 unten).

Niemand bestreitet, daß hin

und wieder einem Lehrer die

Hand ausrutscht ...: trotz aus–

drücklichem Verbot. Werden

solche Vorkommnisse ange–

zeigt, ziehen sie gerichtliche

und dienstliche Strafverfahren

nach sich. Dadurch bleiben sie

Ausnahmefälle. Das Münchner

Institut aber legt das Gegenteil

nahe. Was Ausnahme ist, läßt

es hier als Regel erscheinen .

Statt Licht in einen finsteren

Winkel zu werfen, wird so die

Schullandschaft ohne echten

Beweis in künstliche Schatten

getaucht. Gewiß war es reiner

Zufall, daß die Bombe auch ge–

nau in dem Augenblick gezün–

det wurde, als ein großer Bil–

dungskongreß in der Landes–

hauptstadt die Aufmerksamkeit

der pädagogischen Weit nach

Bayern lenkte.

Eines steht fest: Erschüttert

wurde der gute Ruf unserer

Lehrer und das Vertrauen der

Eitern in die Schule. Dies um so

nachhaltiger, als gerade das

hier vorliegende Beispiel zeigt,

wie zählebig heutzutage eine

im Ornat der Wissenschaft auf–

tretende Schauermär sein kann:

Fast zwei Jahre nach der Erst–

veröffentlichung brachte sie

jüngst die BUNTE-lilustrierte in

Riesenauflage erneut unter die

Leute. Und wenn nicht alles

täuscht, wird sie der leichtgläu–

bigen Öffentlichkeit wohl noch

mehrmals aufgetischt werden;

denn gerade in Wahlkampfzei–

ten florieren antibayerische Kli–

schee-Meldungen. Wie abge–

schmackt, falsch und faden–

scheinig auch immer sie sein

mögen.

e

15