Fortsetzung von Seite 19
vice noch nie etwas gehört. Da–
bei wurde er schon 1973 einge–
führt. Seither steht an jeder
bayerischen Schule ein Lehrer
für solche Rat- und Hilfefälle
bereit. ln eigenen Sprechzeiten
und nach Vereinbarung können
Schüler und Eltern sein Spezial–
wissen in Anspruch nehmen.
Auch die Kollegen der Schule
wenden sich an ihn .
Diese Beratungslehrer sind
erfahrene Pädagogen, die in
Fortbildungsveranstaltungen für
ihre verantwortungsvolle und
oft schwierige Aufgabe vorbe–
reitet werden . Sie sind in der
Gesprächsführung
geschult,
kennen sich mit Schullaufbah–
nen und Übertrittsmöglichkei–
ten aus, wissen, wann ein psy–
chologischer Test einzusetzen
ist, halten Kontakte zu anderen
Auskunftsstellen, etwa der Be–
rufsberatung, den Schuljugend–
beratern und den staatlichen
Schulberatern . Sie organisieren
und leiten auch Elternversamm–
lungen . Durch den täglichen
Umgang mit der Jugend können
sie abschätzen, ob ein schuli–
sches Verhalten normal und al–
tersgemäß ist oder als auffällig
angesehen werden muß.
Für die kleine Ursula wird
nun Beratungslehrer G. als Not–
helfer eingeschaltet. Behutsam
erkundigt er sich in der Sprech–
stunde zuerst bei Ursulas Mut–
ter nach dem Lebensweg und
dem Zuhause des Kindes. Von
ihr erfährt er, daß sie noch fünf
Kinder hat, alle jünger als Ursu–
la. Der Vater ist schwer krank,
bettlägerig. Nur selten hat je–
mand Zeit, mit Ursula zu re–
den, sich ihr zu widmen, ihr
Liebe und Nestwärme zu
schenken. Obwohl sie die erste
Klasse wiederholte, tut sich das
Mädchen immer noch auffällig
schwer, besonders im Lesen
und Schreiben. Um sich ein
vollständiges Bild machen zu
können, schlägt Herr G. einen
Test vor. Die Mutter willigt gern
ein, sie ist froh, daß sich ein
sachkundiger Partner um ihr
Kind kümmert.
Nun stellt sich heraus: Bei
Ursula scheint ein Defekt im
Bereich des Symbol-Verständ–
nisses vorzuliegen, eine sog.
"Wortblindheit". Sie erkennt
offenbar Buchstaben nicht rich–
tig, erfaßt auch das Wortbild
nur ungenau und ist darum un–
fähig, Wörter nach Diktat feh–
lerlos zu schreiben. Beratungs–
lehrer G. kann die Ursache zu–
nächst nur vermuten : Eine mi–
nimale Funktionsstörung des
Gehirns ist möglich. Anderer-
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Beratungslehrer
Informieren über
Bildungswege - eine
wichtige Aufgabe in
unserem angebots–
reichen Schulsystem.
seits kann aber auch die soziale
Situation des Kindes mit ent–
scheidend sein: Es hatte kaum
Anreize für den Spracherwerb
und die Sprachförderung. Auch
ein Sehfehler oder ein Gehör–
schaden müssen in Betracht ge–
zogen werden . Was ist zu tun?
Welchen konkreten Vorschlag
wird der Beratungslehrer ma–
chen? Seine Hilfe richtet sich
nur auf die Feststellung und
Eingrenzung des Defekts, kei–
nesfalls auf seine Behandlung.
Nicht Therapie, sondern Infor–
mation, so lautet sein Auftrag.
Im Fall Ursula heißt die
Empfehlung: Zuerst Besuch
beim Facharzt für Augenheil–
kunde, dann beim Facharzt für
Hals-Nasen-Ohren-Krankhei–
ten . Werden hier keine Störun–
gen festgestellt, dann soll Ursu–
la an den speziellen Förderkur–
sen der Schule für Kinder mit
besonderen
Schwierigkeiten
beim Erlernen des Lesens und
Rechtschreibens teilnehmen .
Daneben soll sie auch noch das
Therapieprogramm einer Erzie–
hungsberatungsstelle
besu–
chen.
Ursulas Mutter stimmt den
Vorschlägen zu. Herr G. nimmt
sofort Kontakt mit der Erzie-
Berufswahlvorbereitung
%15
13
11
Versetzung und
Wiederholung
5,1
o/o
9
r-------~~----~~--~
7
Erzieherische und
soziale Probleme
Verhaltens–
auffälligkelten
Einschulung und
Zurückstellung
Beratung von Lehrern
Qualifizierender
Abschluß
6,2%
7,5%
8,1%
9,4%
5
3
9,9%
ASONDJFMAMJJ
Lern- und Leistungs–
schwierigkelten
11,7%
Korrektur
der Schullaufbahn
Obertritt an Gymnasium
und Realschule
16,7%
22,6%
Die Volksschule
im Spiegel
der Beratung
ln 22,6 Prozent der Be–
ratungsfälle geht es
hier um Entschei–
dungshilfe für den
Obertritt an eine welter–
führende Schule. Erzie–
herische Probleme und
Verhaltensauffälligkel–
ten spielen mit 6,2 bzw.
7,5 Prozent eine deut–
lich geringere Rolle.
Hochbetrieb ln den
Sprechstunden der Be–
ratungslehrer herrscht
um den Zeugnistermin
Mitte Februar, wie die
Kurve oben zeigt.