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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Hitlers

Mein Kampf

– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit

Methodische Anregungen:

Die Frage, ob Hitler von vornherein den Holocaust, also die systematische Ermordung der europäischen Juden, inten-

dierte, wird immer wieder diskutiert. Dabei spielt die hier abgedruckte Stelle aus Hitlers

Mein Kampf

eine wichtige Rolle.

Der Kommentar der kritischen Edition ordnet Hitlers Ausführungen vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung ein

und gibt zugleich einen ebenso komprimierten wie aufschlussreichen Überblick über die Entwicklung zum Judenmord.

Leitfragen:

Welche Vorwürfe erhebt Hitler gegenüber den Juden? In welchem historischen Zusammenhang stehen sie?

Lassen sich Hitlers Ausführungen als Ankündigung des Massenmords an den Juden verstehen?

Wie kam es laut Kommentar zum Holocaust? Welche Stationen lassen sich dabei unterscheiden?

Kommentar:

73 Dieser Satz wurde oft als Indiz dafür angeführt, der Gedanke einer systematischen physischen Vernich-

tung der Juden sei bei Hitler schon seit Beginn seiner politischen Karriere vorhanden gewesen. Verschiedene

Passagen in frühen Reden scheinen in dieselbe Richtung zu weisen. So forderte Hitler schon am 6.7.1920 im

Münchner Bürgerbräukeller die völlige »Entfernung der Juden aus dem deutschen Volkskörper« und schwor

am 18.10.1920 seine Anhänger darauf ein, »keine Humanität gegenüber den Juden« zu zeigen. Diese radi-

kale Rhetorik wurde in der frühen NS-Bewegung sehr ernst genommen [Text an dieser Stelle gekürzt, UB].

Dennoch dürfte es Mitte der 1920er Jahre noch keinen vorgefassten Plan zur Ermordung der Juden gegeben

haben; der Weg zur späteren »Endlösung der Judenfrage« verlief nicht so geradlinig, wie der Hinweis auf Gift-

gas an dieser Stelle von

Mein Kampf

suggeriert. Auch die ersten antijüdischen Maßnahmen des Dritten Reichs

deuteten noch nicht darauf hin, dass es binnen eines Jahrzehnts zur planmäßigen Ermordung von Millionen

Menschen kommen würde. Vielmehr versuchte das NS-Regime zunächst, die »Entfernung« der Juden zu

erreichen, indem es deren Emigration erzwang. Der Entscheidungsprozess, der über den Zwischenschritt der

Deportation zu ihrer Ermordung führte und an dem Hitler direkt beteiligt gewesen sein muss, begann mit der

Besetzung Polens im Herbst 1939, trat mit dem deutschen Vormarsch in der Sowjetunion ab dem 22.6.1941

in seine entscheidende Phase und war spätestens im Sommer 1942 abgeschlossen. Während sich Massener-

schießungen in den besetzten Gebieten auf Dauer nur als schwer durchführbar erwiesen, wurde schon im

August/September 1941 die Tötung durch Gas in Auschwitz-Birkenau erprobt. Weitere Vergasungen fanden

ab Winter 1941/42 bei Chełmno (Kulmhof ) im Warthegau, in Bełżec bei Lublin und ab Anfang März 1942

im kroatischen Semlin statt. Die Wannseekonferenz vom 20.1.1942 diente dann vor allem dem Zweck, den

schon begonnenen, systematischen Massenmord an den Juden im deutschen Machtbereich zu organisieren.

Bis Mai 1945 fielen ihm knapp sechs Millionen Menschen zum Opfer; die Anzahl derjenigen, die nach der

Deportation in die deutschen Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka, Bełżec, Sobibór, Kulmhof und Maj-

danek erst durch Motorenabgase, dann durch das Blausäurepräparat Zyklon B umgebracht wurden, wird auf

rund 2,75 Millionen geschätzt.

Vgl. JÄCKEL/KUHN (Hrsg.), Hitler, Dok. 118, 159, Zitate S. 160, 248; SCHOTT, Volksbuch, Zitat S. 185; BROSZAT (Hrsg.), Kommandant,

S. 16; HILBERG, Vernichtung, Bd. 3, S. 1280–1308, bes. S. 1283, 1299; KRAUSNICK, Judenverfolgung, S. 255f., 269 f., 281; DAWIDOWICZ,

Krieg, S. 15 f.; BRACHER, Diktatur, S. 461; JÄCKEL, Weltanschauung, bes. S. 55–78; FLEMING, Hitler, S. 20, 29 f.; BROWNING, Months,

S. 14 f.; BURRIN, Hitler, S. 9–37, bes. S. 33 f.; LONGERICH, Politik, S. 579 f.; LONGERICH, Befehl, S. 25 f.; BROWNING, „Entfes-

selung“; KERSHAW, Hitler (2008), S. 89–116, 237–281; LONGERICH, Himmler, S. 94; VEJ, Bd. I, S. 8, 13; Bd. 3, S. 13–64; Bd. 4,

S. 13–56; Kap. I/12, Anm. 51.

Quelle: KE, Bd. 2, S. 1718.