Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Mein Kampf
in der
Geschichtskultur
Die Geschichte von
Mein Kampf
war 1945 nicht zu Ende.
Vielmehr zeigt sich hier der Aufarbeitungskontext, der
sich vom Rezeptionskontext der Jahre vor Kriegsende
insofern unterscheidet, als das Publikationsverbot und
die Ächtung des Nationalsozialismus grundlegend neue
Voraussetzungen für die Auseinandersetzung mit Hitlers
Hetzschrift schufen. Der Umgang mit
Mein Kampf
ist
ein Aspekt des Umgangs mit dem Nationalsozialismus
insgesamt und damit ein Teil der Geschichtskultur der
Bundesrepublik Deutschland. In ihr manifestiert sich das
Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft, kommen also
die Vorstellungen von und die Einstellungen zur Vergan-
genheit in verschiedensten Formen zum Ausdruck – von
der Geschichtswissenschaft bis hin zum Geschichtsunter-
richt, von Gedenkstätten bis hin zu einschlägigen Reden,
von historischen Romanen und historischen Spielfilmen
u.v.m. Die einzelnen Produkte können sich den strengen
Anspruch wissenschaftlicher Rationalität unterwerfen
oder die Lizenz freier künstlerischer Gestaltung beanspru-
chen.
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Im Rahmen der umfassenden Auseinandersetzung
mit der Zeit des Nationalsozialismus spielt
Mein Kampf
gegenüber der juristischen Ahndung von NS-Verbrechen
und der Entschädigung der Opfer eine untergeordnete
Rolle. Allerdings zeigen die im Folgenden vorgestellten
Beispiele, dass Hitlers Buch nicht erst seit dem anstehen-
den Auslaufen des Urheberschutzes öffentliche Aufmerk-
samkeit genoss und im Hintergrund präsent war.
Bemerkenswert ist dabei, dass nationalsozialistische
Quellen und sogar andere Schriften Hitlers weniger Auf-
sehen erregen. So konnte das Institut für Zeitgeschichte
seine mehrbändige Edition „Hitler. Reden, Schriften,
Anordnungen“ publizieren, ohne dass die breite Öffent-
lichkeit davon Kenntnis, geschweige denn daran Anstoß
genommen hätte – obwohl der ideologische Gehalt in
diesen Dokumenten nicht minder radikal ist.
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Dass
Mein
Kampf
eine solche Aufmerksamkeit erfährt, lässt sich dar-
aus erklären, dass es als „Herrschaftssymbol“ inszeniert
und als „Herrschaftsinstrument“ genutzt wurde und so
als Inbegriff der NS-Ideologie und der NS-Propaganda
62 Einführend: Baumgärtner (wie Anm. 20), S. 31–46.
63 Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hg.
v. Institut für Zeitgeschichte, 13 Bde., München 1992–2003.
in Erinnerung blieb. Diese pseudoreligiöse Aufladung zur
„Bibel der Bewegung“ lässt die Gefahr ideologischer Infi-
zierung nach wie vor als groß erscheinen und provoziert
Auseinandersetzungen verschiedenster Art.
Neben der Verfügbarkeit des Textes lassen sich, wobei
es selbstredend fließende Übergänge gibt, verschiedene
Formen des Umgangs unterscheiden: solche, die den
Anspruch sachlicher Information erheben, mithin den
Postulaten wissenschaftlicher Rationalität verpflichtet
sind, dann solche, die zur politischen Meinungsbildung
beitragen wollen, also den Regeln des öffentlichen Dis-
kurses folgen, und solche, die für sich die Lizenz künstle-
rischer Freiheit beanspruchen, somit bewusst fiktive und
imaginative Elemente verwenden.
Die Verfügbarkeit des Textes
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Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des National-
sozialismus ging es im Zuge der Entnazifizierung um die
Verbannung des Buches aus der Öffentlichkeit, die nach
1945 mit Hilfe des Urheberrechts geschah. Der Freistaat
Bayern, der in die Rechte von Autor und Verlag eintrat, ver-
hinderte mit juristischen Mitteln eine erneute Publikation
nach Kriegsende. Gleichwohl ließ sich das Buch nicht tot-
schweigen. Und spätestens mit dem Aufkommen des Inter-
nets verlor diese restriktive Politik ihre Wirksamkeit, da der
vollständige Text problemlos zu finden und zu lesen war.
Bestimmte Seiten widmen sich sogar dem Kauf und Ver-
64 Vgl. hierzu Marion Neiss: „Mein Kampf“ nach 1945. Verbreitung und Zu-
gänglichkeit, in: ZfG 60 (2012), S. 907–914.
Schauspieler Helmut Qualtinger liest aus
„Mein Kampf“,
Hamburg 1975.
Foto: ullsteinbild/Fotograf: Wolfgang Kunz