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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
Materialien
Mein Kampf:
Vorwort
Am 1. April 1924 hatte ich auf Grund des Urteilsspruches des Münchner Volksgerichts von diesem Tage an
meine Festungshaft zu Landsberg am Lech anzutreten.
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Damit bot sich mir nach Jahren ununterbrochener
Arbeit zum ersten Male
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die Möglichkeit, an ein Werk heranzugehen, das von vielen gefordert und von mir
selbst als zweckmäßig für die Bewegung empfunden wurde. So habe ich mich entschlossen, in zwei Bänden
nicht nur die Ziele unserer Bewegung klarzulegen, sondern auch ein Bild der Entwicklung derselben zu zeich-
nen. Aus ihr wird mehr zu lernen sein als aus jeder rein doktrinären Abhandlung. Ich hatte dabei auch die
Gelegenheit, eine Darstellung meines eigenen Werdens zu geben, soweit dies zum Verständnis sowohl des
ersten als auch des zweiten Bandes nötig ist und zur Zerstörung der von der jüdischen Presse betriebenen
üblen Legendenbildung über meine Person dienen kann.
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Ich wende mich dabei mit diesem Werke nicht an
Fremde, sondern an diejenigen Anhänger der Bewegung, die mit dem Herzen ihr gehören und deren Verstand
nun nach innigerer Aufklärung strebt. Ich weiß, daß man Menschen weniger durch das geschriebene Wort als
vielmehr durch das gesprochene zu gewinnen vermag, daß jede große Bewegung auf dieser Erde ihr Wachsen
den großen Rednern und nicht den großen Schreibern verdankt.
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Dennoch muß zur gleichmäßigen und ein-
heitlichen Vertretung einer Lehre das Grundsätzliche derselben niedergelegt werden für immer. Hierbei sollen
diese beiden Bände als Bausteine gelten, die ich dem gemeinsamen Werke beifüge.
Landsberg
am Lech,
Festungshaftanstalt.
Der Verfasser.
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Quelle: KE, Bd. 1, S. 89.
Kommentare:
1 Hitler war nach seinem gescheiterten Putschversuch, der insgesamt 20 Menschen das Leben kostete, in der
Zeit vom 11.11.1923 bis zum 20.12.1924 im Festungsgefängnis in Landsberg am Lech inhaftiert – zunächst
als Schutzhäftling, ab dem 14.11.1923 als Untersuchungshäftling und seit seiner Verurteilung durch das
Volksgericht München I am 1.4.1924 als Hochverräter. Allerdings ging die Höhe seiner Haftstrafe über die
gesetzliche Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft und eine Geldstrafe von 200 Goldmark nicht hinaus.
Auch sonst war der Prozess in seiner Verhandlung und in seinem Urteil juristisch fragwürdig und wurde von
vielen als Akt der Willkür empfunden. Die
Deutsche Juristen-Zeitung
hielt im April 1924 fest: »Der Schaden,
den Deutschlands Ansehen erlitten [
hat
], läßt sich nicht mehr gut machen.« Der Richter, Oberlandesgerichts-
rat Georg Neithardt – er hatte bereits im Januar 1920 den zum Tode verurteilten Eisner-Mörder Anton Graf
Arco-Valley zu Festungshaft begnadigt –, hatte alles getan, damit »das Schlimmste […] abgewendet« wurde,
wie es 1939 in einer Laudatio auf Neithardt hieß. Teil dieser Strategie war Hitlers Verurteilung zur Festungs-
haft, der mildesten Form des staatlichen Freiheitsentzugs. Sie fand traditionell Anwendung bei Häftlingen,
denen bescheinigt wurde, in »ehrenvoller« Absicht gehandelt zu haben. In seinem Urteil hatte das Volksgericht
München I die Möglichkeit eingeräumt, Hitler bei guter Führung nach sechs Monaten eine »Bewährungsfrist
für den Strafrest in Aussicht« zu stellen. Das war Rechtsbeugung: Bereits im Januar 1922 war Hitler wegen
Landfriedensbruchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden, von denen er lediglich einen Monat absit-
zen musste. Die Bewährungsfrist war eigentlich bis 1926 ausgesetzt. Georg Neithardt hatte auch damals das
Urteil gesprochen und musste wissen, dass Hitlers Anspruch auf eine weitere Bewährungsstrafe durch die
Ereignisse des Novembers 1923 definitiv erloschen war. Formale Voraussetzung für die vorzeitige Haftentlas-
sung war ein Führungszeugnis des Anstaltsdirektors Otto Leybold. Dessen Gutachten vom 15.9.1924 wurde
zu einem einzigen Lobgesang auf Hitler: Dieser sei ein »Mann der Ordnung« und »Disziplin«, nicht nur in
Hitlers
Mein Kampf
– das Vorwort