Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Aufbau und Textgattung von
Mein Kampf
Auf den ersten Blick scheint Hitlers Buch eine klare Struk-
tur zu haben: Der Titel des ersten Bandes „Eine Abrech-
nung“ deutet auf eine persönliche Auseinandersetzung
mit vergangenen Ereignissen hin, während der mit „Die
nationalsozialistische Bewegung“ betitelte zweite Band ein
politisches Programm für die Zukunft verspricht.
Adolf Hitler:
Mein Kampf
– Gliederung
Band I
Band II
1. Im Elternhaus
1. Weltanschauung und Partei
2. Wiener Lehr- und Leidensjahre 2. Der Staat
3. Allgemeine politische Betrach-
tungen aus meiner Wiener Zeit
und Sonstiges
3. Staatsangehöriger und Staats-
bürger
4. München
4. Persönlichkeit und völkischer
Staatsgedanke
5. Der Weltkrieg
5. Weltanschauung und
Organisation
6. Kriegspropaganda
6. Der Kampf der ersten Zeit – Die
Bedeutung der Rede
7. Die Revolution
7. Das Ringen mit der roten Front
8. Beginn meiner politischen
Tätigkeit
8. Der Starke ist am mächtigsten
allein
9. Die „Deutsche Arbeiterpartei“ 9. Grundgedanken über Sinn und
Organisation der S.A.
10. Ursachen des Zusammen
bruches
10. Der Föderalismus als Maske
11. Volk und Rasse
11. Propaganda und Organisation
12. Die erste Entwicklungszeit
der Nationalsozialistischen
Deutschen Arbeiterpartei
12. Die Gewerkschaftsfrage
13. Deutsche Bündnispolitik nach
dem Kriege
14. Ostorientierung oder Ostpolitik
15. Notwehr als Recht
Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass sich auch
im ersten Band Persönliches und Politisches mischen und
etwa das 4. Kapitel „München“ weniger biografisch als
ideologisch angelegt ist. Auch die Abfolge der einzelnen
Kapitel sowie deren innere Struktur lassen keinen strin-
genten Aufbau erkennen. Bei der Lektüre fallen nicht nur
die „zum Teil chaotische Anlage des Buches sowie die oft
sprunghaften und redundanten Ausführungen Hitlers“
auf,
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sondern auch die Breite der Ausführungen. Darin
spiegelt sich der Anspruch Hitlers wider, ein umfassendes
Erklärungsmuster für alle Erscheinungen der Welt bieten
zu können.
Insgesamt stellt Hitlers
Mein Kampf
somit ein eigenar-
tiges Werk dar: Es vereint viele Facetten in sich, weshalb
es auch schwer einer Gattung zuzuordnen ist. Es ist zum
einen Autobiografie, da sich hier viele Informationen zum
ansonsten schlecht dokumentierten frühen Lebensweg
Hitlers finden. Neil Gregor bezeichnet das Buch sogar
als Bildungsroman, da Hitler ausführlich den mühe-
vollen Weg der Herausbildung seiner Weltanschauung
schildert.
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Es ist aber auch ein Geschichtsbuch, finden
sich doch weitschweifige Erklärungen über historische
Entwicklungen verschiedenster Art und über die Bewe-
gungsgesetze der Geschichte. Es ist vor allem aber eine
politische Programmschrift, in der die Ziele und Metho-
den der nationalsozialistischen Bewegung vergleichsweise
ungeschminkt beschrieben werden. Allerdings geht Hitler
oft darüber hinaus, wenn er im Wortsinn über Gott und
die Welt schreibt – um nicht zu sagen: schwadroniert.
Ein Blick in das ursprüngliche Register, aber auch in das
Sachverzeichnis der Edition zeigt die Breite der Themen:
von Adoption bis Zwangssterilisation, von Mode bis Mut-
terschaft, von Genie bis zu Geschlechtskrankheiten. Hat
Mein Kampf
autobiografische Elemente, so ist es doch
keine Autobiografie; enthält es politische Forderungen, so
ist es doch kein Parteiprogramm; beurteilt es historische
Ereignisse, so ist es doch kein Geschichtswerk. Wolfram
Pyta bezeichnet
Mein Kampf
daher als Weltanschauungs-
literatur, in der eine individuelle Weltsicht breit dargestellt
wird. Um die vermeintliche Allgemeingültigkeit der rein
subjektiven Aussagen zu beglaubigen, rekurriert Hit-
ler demnach auf die Genievorstellung, indem er sich als
außergewöhnliches Individuum präsentiert, das Zugang
zu höheren (oder tieferen) Wahrheiten besitzt. Zu dieser
Rolle gehört auch die Stilisierung zum Außenseiter: Das
verkannte Genie wird zuerst abgelehnt, bis sich die Rich-
tigkeit seiner Weltsicht schließlich überzeugend beweist.
Dieses Sendungsbewusstsein ist der Kern des „Führer“-
Gedankens und äußert sich im Gestus der Verkündigung,
wie er immer wieder in
Mein Kampf
begegnet.
41
39 Hartmann u.a. (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 14.
40 Neil Gregor: „Mein Kampf“ lesen, 70 Jahre später, in: Aus Politik und Zeit-
geschichte 43–45/2015, (19.10.2015), S. 3–9, hier S. 6.
41 Vgl. Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine
Herrschaftsanalyse, München 2015, S. 219–240.