Table of Contents Table of Contents
Previous Page  25 / 64 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 25 / 64 Next Page
Page Background

Hitlers

Mein Kampf

– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit

25

Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Aufbau und Textgattung von

Mein Kampf

Auf den ersten Blick scheint Hitlers Buch eine klare Struk-

tur zu haben: Der Titel des ersten Bandes „Eine Abrech-

nung“ deutet auf eine persönliche Auseinandersetzung

mit vergangenen Ereignissen hin, während der mit „Die

nationalsozialistische Bewegung“ betitelte zweite Band ein

politisches Programm für die Zukunft verspricht.

Adolf Hitler:

Mein Kampf

– Gliederung

Band I

Band II

1. Im Elternhaus

1. Weltanschauung und Partei

2. Wiener Lehr- und Leidensjahre 2. Der Staat

3. Allgemeine politische Betrach-

tungen aus meiner Wiener Zeit

und Sonstiges

3. Staatsangehöriger und Staats-

bürger

4. München

4. Persönlichkeit und völkischer

Staatsgedanke

5. Der Weltkrieg

5. Weltanschauung und

Organisation

6. Kriegspropaganda

6. Der Kampf der ersten Zeit – Die

Bedeutung der Rede

7. Die Revolution

7. Das Ringen mit der roten Front

8. Beginn meiner politischen

Tätigkeit

8. Der Starke ist am mächtigsten

allein

9. Die „Deutsche Arbeiterpartei“ 9. Grundgedanken über Sinn und

Organisation der S.A.

10. Ursachen des Zusammen­

bruches

10. Der Föderalismus als Maske

11. Volk und Rasse

11. Propaganda und Organisation

12. Die erste Entwicklungszeit

der Nationalsozialistischen

Deutschen Arbeiterpartei

12. Die Gewerkschaftsfrage

13. Deutsche Bündnispolitik nach

dem Kriege

14. Ostorientierung oder Ostpolitik

15. Notwehr als Recht

Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass sich auch

im ersten Band Persönliches und Politisches mischen und

etwa das 4. Kapitel „München“ weniger biografisch als

ideologisch angelegt ist. Auch die Abfolge der einzelnen

Kapitel sowie deren innere Struktur lassen keinen strin-

genten Aufbau erkennen. Bei der Lektüre fallen nicht nur

die „zum Teil chaotische Anlage des Buches sowie die oft

sprunghaften und redundanten Ausführungen Hitlers“

auf,

39

sondern auch die Breite der Ausführungen. Darin

spiegelt sich der Anspruch Hitlers wider, ein umfassendes

Erklärungsmuster für alle Erscheinungen der Welt bieten

zu können.

Insgesamt stellt Hitlers

Mein Kampf

somit ein eigenar-

tiges Werk dar: Es vereint viele Facetten in sich, weshalb

es auch schwer einer Gattung zuzuordnen ist. Es ist zum

einen Autobiografie, da sich hier viele Informationen zum

ansonsten schlecht dokumentierten frühen Lebensweg

Hitlers finden. Neil Gregor bezeichnet das Buch sogar

als Bildungsroman, da Hitler ausführlich den mühe-

vollen Weg der Herausbildung seiner Weltanschauung

schildert.

40

Es ist aber auch ein Geschichtsbuch, finden

sich doch weitschweifige Erklärungen über historische

Entwicklungen verschiedenster Art und über die Bewe-

gungsgesetze der Geschichte. Es ist vor allem aber eine

politische Programmschrift, in der die Ziele und Metho-

den der nationalsozialistischen Bewegung vergleichsweise

ungeschminkt beschrieben werden. Allerdings geht Hitler

oft darüber hinaus, wenn er im Wortsinn über Gott und

die Welt schreibt – um nicht zu sagen: schwadroniert.

Ein Blick in das ursprüngliche Register, aber auch in das

Sachverzeichnis der Edition zeigt die Breite der Themen:

von Adoption bis Zwangssterilisation, von Mode bis Mut-

terschaft, von Genie bis zu Geschlechtskrankheiten. Hat

Mein Kampf

autobiografische Elemente, so ist es doch

keine Autobiografie; enthält es politische Forderungen, so

ist es doch kein Parteiprogramm; beurteilt es historische

Ereignisse, so ist es doch kein Geschichtswerk. Wolfram

Pyta bezeichnet

Mein Kampf

daher als Weltanschauungs-

literatur, in der eine individuelle Weltsicht breit dargestellt

wird. Um die vermeintliche Allgemeingültigkeit der rein

subjektiven Aussagen zu beglaubigen, rekurriert Hit-

ler demnach auf die Genievorstellung, indem er sich als

außergewöhnliches Individuum präsentiert, das Zugang

zu höheren (oder tieferen) Wahrheiten besitzt. Zu dieser

Rolle gehört auch die Stilisierung zum Außenseiter: Das

verkannte Genie wird zuerst abgelehnt, bis sich die Rich-

tigkeit seiner Weltsicht schließlich überzeugend beweist.

Dieses Sendungsbewusstsein ist der Kern des „Führer“-

Gedankens und äußert sich im Gestus der Verkündigung,

wie er immer wieder in

Mein Kampf

begegnet.

41

39 Hartmann u.a. (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 14.

40 Neil Gregor: „Mein Kampf“ lesen, 70 Jahre später, in: Aus Politik und Zeit-

geschichte 43–45/2015, (19.10.2015), S. 3–9, hier S. 6.

41 Vgl. Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine

Herrschaftsanalyse, München 2015, S. 219–240.