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Politikfeld Wald
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Begreift man Politik als einen gesellschaftlichen Handlungsprozess zur Regelung
interessenbedingter Konflikte über Werte, so kann dieser Prozess am Beispiel des
Waldes exemplarisch dargestellt werden: Denn bei Waldthemen treten diese
verschiedenen Interessen und Werthaltungen deutlich in Erscheinung. Sie
basieren auf unterschiedlichen Rationalitäten, die sich in der politischen Arena
um Durchsetzung oder Zustimmung bemühen.
Handlungslogiken können mitunter sehr widersprüchlich
sein. Unsere Gesellschaft kennt nach Paul Diesing fünf
Archetypen von Rationalitäten:
1
•
Technische Rationalität: Mittel-Zweck-Orientierung,
•
Ökonomische Rationalität: Nutzenorientierung im Sinne
einer gesellschaftlichen Wohlfahrtsmehrung,
•
Soziale Rationalität: die Integration von Akteuren in
sozialen Systemen steht im Mittelpunkt,
•
Juristische Rationalität: Orientierung am System der
Rechte und Pflichten,
•
Politische Rationalität: Orientierung an der Frage des
Machtgewinns bzw. des Machterhalts.
Mit Blick auf die heutige Gesellschaft muss diese Aufzählung
außerdem um einen weiteren Archetyp, die Ökologische
Rationalität, erweitert werden. Dreh- und Angelpunkt dieser
Perspektive ist die Orientierung an ökologischen, dauerhaf-
ten Systemen, deren Schutz Vorrang vor ihrer Nutzung hat.
Diese Archetypen dienen als Maßstab, um die Ausprä-
gung konkreter Rationalitäten von Gruppen zu bestimmen.
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Handlungen, die von einer Gruppe als rational angesehen
werden, bewertet eine andere Sinngemeinschaft als irrational.
So wird zum Beispiel eine Handlung im Wald aus der öko-
nomischen Perspektive anders bewertet als aus einer ökologi-
schen. Eine Handlung wird demnach nicht nach den Katego-
rien wahr/falsch, sondern rational/irrational bewertet. Diese
Kategorisierung erfolgt nicht entlang eines objektiven wissen-
schaftlichen Maßstabs. Wissenschaft kann jedoch dazu die-
nen, diese unterschiedlichen Rationalitäten zu beschreiben.
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1 Vgl. Paul Diesing: Reason in Society. Five Types of Decisions and their
Social Conditions, Urbana 1962.
2 Vgl. Kuno Schedler/Johannes Rüegg-Stürm (Hg.): Multirationales Ma-
nagement. Der erfolgreiche Umgang mit widersprüchlichen Anforderun-
gen an die Organisation, Bern 2013, S. 49.
3 Vgl. Monika Arzberger/Anika Gaggermeier/Michael Suda: Der Wald. Ein
Wohlfühlraum. Die Wahrnehmung von Wald und Waldbewirtschaftung
in der Bevölkerung. Folgerungen fur die Kommunikation der forstlichen
Akteure, in: LWF aktuell 107 (2015), S. 9–13.
Vorhandene, unterschiedliche Rationalitäten sind oft also
nur bedingt vereinbar, was zu Konflikten in der politischen
Arena führt. Die vorliegende Analyse zeigt auf, dass im
Umfeld des Waldes zwischen der Ebene der Diskurse und
der Objektebene deutliche Brüche auftauchen können.
Im Vergleich zu anderen Politikfeldern bezieht sich die
Waldpolitik auf die sichtbare, abgrenzbare, und „objek-
tiv“ beschreibbare Entität Wald, die in der Bundesrepu-
blik Deutschland ein Drittel der Landoberfläche bedeckt
und damit allgegenwärtig ist. Jeder in unserer Gesellschaft
hat (zwar unterschiedlich ausgeprägte) eigene Erfahrun-
gen mit dem Phänomen Wald, das Thema trifft daher auf
breites Interesse in unserer Bevölkerung.
Die politischen Auseinandersetzungen über den Wald
sind deutlich sichtbar in der Verteilung der Waldflächen,
der Zugänglichkeit, der Nutzung, den Debatten über die
Auswirkungen von anthropogenen und natürlichen Ein-
flüssen auf den Wald sowie letztlich in den Waldstruktu-
ren. Der tatsächliche Waldzustand ist somit – neben den
natürlichen Einflussfaktoren der Umweltbedingungen –
ein Spiegelbild dafür, wie sich diese politischen Aushand-
lungsprozesse auf die menschlichen Handlungen und
Handlungsmöglichkeiten auswirkten und welche Ergeb-
nisse erzielt werden konnten.
Im Rahmen dieses Beitrages, der sich überwiegend auf
Bayern bezieht, werden am Beispiel des Waldes historische
und politische Entwicklungen nachgezeichnet. Ausgangs-
punkt der Überlegungen bilden die Waldflächenvertei-
lung, die Waldzusammensetzung und die Waldbesitzver-
teilung. In argumentativ geführten Auseinandersetzungen
über den Wald treffen die Rationalitäten des Wirtschafts-
raumes, des sozialen Raumes und des Naturraumes auf-
einander. In das Zentrum der Überlegungen wird die
Frage gestellt, wie politische Akteure mit diesen unter-
schiedlichen, widersprüchlichen Rationalitäten umgehen
oder umgehen können. Ein weiterer Abschnitt stellt die
Wahrnehmung und Bewertung des Waldes durch einzelne
Bürger oder gesellschaftliche Gruppierungen in den Mit-