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„With human beings you never know“

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Das Land der tausend Hügel

Es ist ein ebenso unerwarteter wie wunderbarer Anblick

und das Auge kann sich gar nicht sattsehen an dieser lieb-

lichen Hügellandschaft – mitsamt ihren Streusiedlungen,

den Gärten und Feldern, die in unterschiedlichen Grün-

tönen schimmern. In den Tälern schlängeln sich oftmals

breite Flüsse und auf den Feldern und Wegen begegnet

man Menschen, die beim Näherkommen freundlich

lächeln und grüßen. Wer zum ersten Mal dieses Land

bereist und von der Hauptstadt Kigali Richtung Süden

durch die idyllische, fruchtbare Landschaft fährt, der ver-

steht sofort, warum man Ruanda – in der einheimischen,

französischen und englischen Sprache

Rwanda

geschrie-

ben – als

„Pays de Mille Collines“

, Land der tausend Hügel,

bezeichnet hat. Manchmal wird es zum

„Switzerland of

Africa“

, zur Schweiz Afrikas, stilisiert.

Das ostafrikanische Land liegt auf 1.000 bis 4.500m

Höhe. Es ist durch ein Klima geprägt, das genügend Nie-

derschläge und damit eine ertragreiche Landwirtschaft

zulässt – und dieses satte Grün hervorbringt, das wir im

Regelfall so gar nicht mit Afrika in Verbindung bringen.

In der Vorstellungswelt der Europäer ist Afrika meist eine

sonnenverzehrte Savannenlandschaft, durchstreift von den

„Big Five“

, den berühmten fünf großen Tieren Afrikas. Die

gibt es zwar auch, aber nur im Akagera-Nationalpark an der

Grenze zu Uganda. Prägend bleibt die Bergwelt, die hinauf-

führt zu den berühmten Silberrücken der Berggorillas im

Volcanoes

-Nationalpark an der Grenze zum Kongo.

Wer auf den Straßen unterwegs ist, bemerkt noch vieles

mehr, das eher nicht gängigen Vorstellungen von Afrika ent-

spricht: Die Hauptstadt Kigali bietet alles, was man weltweit

in Metropolen findet. Man fährt vor-

bei an einemneuenKongresszentrum,

modernen Supermärkten in

shopping

malls

und schicken Hotelanlagen.

Ruanda gehört zu den am dichtesten

besiedelten Ländern der Erde. Selten

ist man länger als ein Viertelstünd-

chen unterwegs, bis man wenigstens

Streusiedlungen oder auch die nächs-

ten Ortschaften sieht. Slums oder

vergleichbare Siedlungen von

„high

density areas“

wie in anderen Städten

des Südens sind nicht anzutreffen, es

gibt ausgebaute Straßen, man hält an

roten Ampeln und die Motorradta-

xis haben nicht nur für sich, sondern

auch für die Gäste Helme dabei. Es

ist ein gepflegtes, ein aufgeräumtes

Land, in dem man vergebens nach den aus anderen afrika-

nischen Staaten bekannten Müllplätzen entlang der Straße

sucht. Stattdessen trifft man auf Umweltschutzprojekte und

Schilder mit dem Hinweis „Haltet das Land sauber!“.

Wer auf der Straße von Kigali in den Süden unterwegs

ist, der wird allerdings mit den Zeugnissen einer Geschichte

konfrontiert, die so gar nicht zu der friedlichen Hügelland-

schaft und den freundlichen und aufgeschlossenen Men-

schen passt. Die Straße führt eben nicht nur vorbei an die-

sem sattenGrün zwischen denHügeln und demmajestätisch

dahinfließenden

Nyabarongo

-Fluss, der später den Nil spei-

sen wird, sondern auch an unfassbar vielen Massengräbern

und Gedenkstätten. Allein auf diesen knapp 40 Kilometern

vom Zentrum der Hauptstadt zum Zentrum der Ostprovinz

kommt man an vier Erinnerungsorten vorbei – Nyanza-

Kicukiro, Gahanga, Ntarama, Nyamata. Sie sind Zeugen

jenes Völkermordes, der im April 1994 begann, als radikale

Hutu die Minderheit der Tutsi auslöschen wollten. Inner-

halb von nur 100 Tagen forderte er rund eine Million Tote.

Das Land der Massengräber

Nyanza-Kicukiro ist heute ein südlicher Vorort von Kigali.

In der Gedächtnisstätte

„Nyanza Memorial Site“

wird an

tausende Tutsi erinnert, die in dieser Gegend ermordet

wurden. Anfang April 1994 waren 2.000 Menschen in ein

Schulgebäude geflüchtet, der ETO Kicukiro

(École Tech-

nique Officielle)

und befanden sich unter dem Schutz der

belgischen Blauhelmsoldaten. Am 11. April 1994 beka-

men die Blauhelmsoldaten den Befehl zum Abzug und

überließen trotz aller Bitten die Geflüchteten einer bereit-

stehenden Mörderbande mit Macheten und Knüppeln.

Erinnerungsorte, wie die Massengräber hier im Nyange Memorial Site, finden sich in jedem Distrikt

Ruandas.